Samstag, 27. September 2008

Brautstau im Park

Gestern ist etwas Merkwürdiges passiert: Shanghai kam offenbar zum Schluss, europäischer Herbst wäre schick, und hat das Wetter einfach völlig umgestellt. Die Sonne strahlt durch kristallklare Luft, keine Spur von Schwüle und ... 22 Grad! Zum ersten Mal, seit ich in China bin, ist mir nicht ununterbrochen heiß. Es fühlt sich an wie ein schöner Herbsttag in Österreich. Und sieht auch so aus - nur halt mit mehr Chinesen. Es ist ganz ungewohnt, auch anspruchsvollere körperliche Belastungen - wie Uhraufziehen oder Schnäuzen - ohne zu schwitzen auf sich nehmen zu können.

Der Ritt zum Park
Ich beschloss, dies auszunutzen. So habe ich denn gleich Ende der Vorlesungen (denn dieses Wochenende arbeiten wir durch, damit wir anschließend eine volle Woche Urlaub anlässlich des National Day genießen können) meinen Hintern der Wissenschaft geopfert. Und zwar in der Form, dass ich den ziemlich langen Weg zum Gongqing Forest Park eigenfüßig radelnd zurücklegte. Eigentlich aber eben eher eigenärschlings, denn letzterer Körperteil litt gehörig unter meinem schlechten Sattel.
Was dieser Gongqing Forest Park ist? Nun, das wusste ich eben auch nicht, daher ja meine Forschungsreise. Weit weg ist er. Denn er liegt am Ufer des Huangpu River, und der wiederum ist gut 10 Kilometer entfernt von meinem Dorm. Das mag vielleicht nicht nach unendlichen Weiten klingen, aber wir sprechen nicht von reizenden, verlassenen Landstraßen an deren Rändern munter die Vögelein zwitschern, sondern wir reden von chinesischem Vorstadtverkehr und Straßen mit Schlaglöchern, in deren jedem ich samt Rad vollständig versenkt werden kann.

Ruhe in Shanghai: Der Gongqing Forest Park
Es stellte sich heraus: Dieser Park ist eine über 150 Hektar große Grünfläche mit unterschiedlichsten Komponenten - von Bambushainen über ein be-Booterl-bares Kanalsystem bis zum Steingarten. Und ruhig ist es dort. Vollkommen friedlich. Ich war begeistert. Ein wunderschöner, geradezu linder Tag - und wie oft kann man schon dieses schöne Wort benützen? - und dann noch ein solch beschaulicher Ort, voll der Natur, ohne Menschen - und das im Stadtgebiet von Shanghai.

Das schönste Foto des Lebens
Doch es wäre nicht China, wenn man nicht kreative Möglichkeiten gefunden hätte, auch an diesem Orte Staus zu produzieren. Dies geschieht, indem man sämtliche junge Brautpaare der Stadt inklusive Verwandtschaft und eines vollständigen Fotografen-Stabs gleichzeitig in den Park karrt und dort an den schönsten Punkten zur romantischen Hochzeitsfoto-Session aufeinanderstapelt. Und da romantische Flecken rar sind, fand ich mich konfrontiert mit dem für ungeschulte, europäische Augen so gar nicht romantischen Bild in einer Art Reihe wartender, gelangweilt lümmelnder Bräute und Brautigame sowie Fotografen inklusive Beleuchter und Equipment, während jeweils ein glückliches Paar sich in künstlerischen Posen auf Steinen, Bänken oder Bäumen räkeln durfte, um solchermaßen natürlich-glücklich als optisch erfrischender Hintergrund für künftige Ehestreitereien daheim festgehalten zu werden.


Ich darf meinen gleichermaßen entspannenden wie anthropologisch-lehrreichen Ausflug hier optisch ein wenig untermalen:




Schon die Anreise mit dem Fahrrad entbehrt nicht einer gewissen Ästhetik: Malerisch verziert herrenlose Unterwäsche ansonsten schmucklose Mauern ...



... die Freizeitgestaltung findet vorwiegend auf der Straße statt, um farbliche und soziale Akzente zu setzen ...

... und schließlich soll niemand behaupten, dass klassische chinesische Architektur in Shanghai nicht auch ihren Platz findet.

Im Park selbst wird das Auge des Entspannungssuchenden dann erfreut von mannigfaltigen Spielarten chinesischer Hortikultur: Hier gibt es Steingärten mit ausdrucksstarken Formen ...

... wildwachsende, farbenfrohe Pflanzen, die man im Wienerwald vergeblich sucht ...

... friedvolle Bambushaine ...

... naturbelassene Wasserszenarien ebenso ...

... wie Seen, die den Bootsfahrern oder Anglern zur Verfügung stehen.
Nur die schönsten Plätze des riesigen Parkes aber werden von den Fotografen als für Hochzeitsfotos tauglich ausgewählt ...

... wie beispielsweise hier das "Scenic View of the Huangpu River", wo junge Eheleute den schönsten Tag ihres Lebens in dieser ganz besonderen Umgebung für die Ewigkeit festhalten lassen.

7 Kommentare:

rudolfottokar hat gesagt…

als alter botaniker kann ich nur sagen: schöner park...
bist gar nicht bootgefahren? schaut so einladend aus.
;-)

Anonym hat gesagt…

Herrlich... ich lach mich schon wieder z´Tod... die Brautleute vor dem schönen Fluss... *G*

Aber der Park schaut guat aus!!! :-)

ClemmieInChina hat gesagt…

@nikerl: Gell? Wunderschön ... da kommt so richtig romantik auf :)).

@rudi+niki: ja, der park und die pflanzen sind auch echt schön. ist eigentlich mehr so ein lainzer tiergarten, also eher naturbelassen.

china ist einfach schräg. jetzt war ich grad in einem heavy-metal-club für veganer. eine location für eine - sagen wir mal - wohldefinierte zielgruppe ;).

Anonym hat gesagt…

Seeeeeeehr leiwand, hahaha... Straight Edge mit "Anthrax"-Leibi und Federn bis zum Oa**** - das nenn´ ich leiwand!!!

Ich glaub ich hau mich heut noch ins U4... *augenroll*

Anonym hat gesagt…

Sehr cool, es gibt sie also doch, die ruhigen Ecken in Shanghai! Da wird deiner Seele aber ein Stein vom Herzen gefallen sein, was? :)

ClemmieInChina hat gesagt…

@nikerl: ich hab zwar keine ahnung, wovon du redest, aber wird schon stimmen :P

@tosherl: jaaaa, es gibt sie :). und zusammen mit dem ungewöhnlich angenehmen wetter hab ich die stadt fast nicht wiedererkannt!

Anonym hat gesagt…

na straight edge sind diese veganer-heinis, die hardcorepunk usw hören... wuarscht. genieß die ruhigen ecken!!! und die veganerclubs und und und... ;-)