Mittwoch, 28. Januar 2009

Sichuan - III: Kunst

Übermorgen geht's ja gemeinsam mit meinen lieben Freundinnen B. und J. zusammen auf die Reise durch China. Auf dem Plan stehen Guilin, Kanton, Hongkong - und natürlich Shanghai. Aber dank unsicheren Wetter-, Verkehrs- und Clemens-Bedingungen weiß man natürlich nie so recht, wo wir im Endeffekt wirklich landen werden. Macht aber nix, China ist zum Glück so groß, dass wir es zumindest nicht vollkommen verfehlen werden.

Wettertechnisch garantiert die Kombination J. und C. jedenfalls fürchterlichstmögliche Zustände, da ich für Nebel und diverse Naturkatastrophen bürge, J. hingegen für Dauerregen und Standard-Schlechtwetter zuständig ist. Gut möglich, dass an dieser Stelle in gut zwei Wochen der aufregende Bericht "Unsere 14 gemeinsamen Tage in einem Shanghaier Kino" erscheint.

Aber wenn wir schon beim Thema Reise sind: Einen kleinen Sichuan-Nachtrag bin ich noch schuldig, und der soll an dieser Stelle sogleich erfolgen.

Sichuan ist ja eine Gegend, in der ich mich zur intensiveren Befassung mit dem Thema Kunst genötigt sah. Nicht nur sind in dieser schönen Provinz die klassischen Künste omnipräsent, auch simple Dinge aus dem täglichen Leben werden auf ausgesprochen kreative Weise verarbeitet.

So zum Beispiel Süßigkeiten.

An jeder Ecke zu finden beispielsweise jene Herr- und Damschaften, die aus heißer Zuckermasse kunstvolle 3D-Lutscher gießen. Besonders beliebt: Das Drehen am Sternzeichen-Rad (links im Bild). Mit Glück erdreht man sich einen Drachen - die größte und prächtigste Figur. Mit nicht ganz so viel Glück bekommt man eine Ratz. (Dreimal dürft's raten ...)


Dieser Zucker wird auf Wunsch auch mit Lebensmittelfarben bemalt.


Eine andere Möglichkeit ist es, Zuckermasse in Tierformen zu blasen, wie es diese zertifizierte Dame hier tut.


Doch auch Stein ist vor der Chinesen künstlerischen Körperteilen nicht sicher. Mit einem winzigen Meißel werden nach Fotos oder Live-Bildern geduldig realitätsgetreue Abbilder in dunkle Steinplatten gepunkterlt. Warum weiß ich nicht.


Des Abends war für mich der Besuch einer traditionellen Sichuan-Oper Pflicht. Völlig unkompliziert ist so etwas im Rahmen einer Tour möglich. Viel lustiger (und garantiert Koarl-frei - er besucht nämlich auch gerne Theater- und Kino-Vorführungen) hingegen ist es, sich einfach selbst ein Opernhaus zu suchen und dort als einziger Europäer unter vielen (lauten) Einheimischen dieses Spektakel bei stets frischem Grüntee zu genießen.
Ich wähle hier bewusst das Wort "Spektakel", denn bei einer solchen Oper fliegt wahrlich die Kuh: Neben klassischen Gesangs-, Instrumental- und Tanzdarbietungen gibt es auch Sketches, atemberaubende Akrobatik, Schatten- und Puppenspiele, Feuerspucken - und das, wofür die Sichuan-Oper am berühmtesten ist: "Changing Faces". Dabei treten Schauspieler in kunstvollen Masken und Gewändern auf, bedecken Gesicht und Körper für den Bruchteil einer Sekunde mit einem Fächer - und wenn sie diesen wieder wegnehmen, haben sich sowohl Maske als auch Gewand vollkommen verändert. Dies geschieht dermaßen rasch, dass es manchmal sogar vor aller Augen - ohne Fächerbedeckung - vorgeführt wird, und immer noch hat man nicht die geringste Ahnung, wo die anderen Masken und Gewänder hinverschwinden. Das muss man gesehen haben, um es zu glauben - meine Filmaufnahmen sind leider von mangelhafter Qualität, sonst hätte ich das hier hineingehängt.


Bei einem Spaziergang entdeckte ich ein ziemlich verfallenes, dafür aber sehr hässliches Gebäude, in dem offenbar Künstler ihre Werke ausstellten. Dort lernte ich Professor Chen kennen "Poet, Painter, Calligrapher" wie mir seine Visitkarte verrät. Er zeigt mir Fotos von ihm in New York: bei großen Ausstellungen und als Gastprofessor an der New Yorker Universität. Ebenso präsentiert er mir prächtige Diplome, die ihn als Meister diverser traditioneller Kunstrichtungen ausweisen. Als er mir dann noch auf einer alten Zeitung vorführt, wie man denn die Grasschrift korrekt auf Papier bringt, bin ich quasi gezwungen, dem alten Herrn auch etwas abzukaufen. Nun bin ich ja stolzer Eigentümer geradezu beeindruckender Unkenntnis betreffs chinesischer Kunst - und folglich jetzt auch eines Kalligraphie-und-Bambus-Zyklus Made by Prof. Chen, der zumindest ganz toll aussieht.


Dieser markante Herr wiederum war so nett, mir mein persönliches Siegel anzufertigen. Er tat dies in klassischer Siegelschrift und benötigte dafür nicht die üblichen 2 - 3 Minuten, sondern arbeitete über eine halbe Stunde konzentriert an Entwurf und Ausführung - so dass ich jetzt eines der wenigen qualitativ wirklich hochwertigen Siegel meines (chinesischen) Namens mein Eigen nenne.



... und so schaut's dann gestempelt aus. Rechts oben 白 (Bai, "Weiß"), mein chinesischer Familienname, rechts unten bzw. links 克林 (Kelin, "den Wald erobern"), mein chinesischer Vorname. Unten in "Schreibschrift". Wird ab sofort alle meine Bücher zieren. Und meine Fotos. Und meine Wände. Und überhaupt alles, was irgendwie mir gehört. Oder auch sonst jemandem.

So. Damit wünsche ich mir selbst eine gute Reise, und jenen Leuten, die sich aus mir unbekannten Gründen bis zu dreimal in der Woche mit relativ unrelevanten Informationen aus China versorgen lassen, wünsche ich geruhsame zwei Wochen. Benehmts Euch warm, schauts anständig über die Straße und ziehts Euch links und rechts an. Baba!

Montag, 26. Januar 2009

春节: Das Frühlingsfest/Chinesisches Neujahr

Willkommen im Jahr des Ochsen. Oder Büffels. Oder des generellen Rindviechs halt.

Vorgestern war der chinesische Neujahrsabend, gestern "Neujahr". Dies ist das größte und wichtigste Fest hier - und jede Chinesin und jeder Chinese möchte es mit ihrer oder seiner Familie zusammen verbringen. Daher kommt es auch jedes Jahr zu für uns kaum vorstellbaren Massenbewegungen quer durch's Land.

Shanghai gleicht seit 3 Tagen einer Geisterstadt: Alles hat geschlossen, die Straßen - und vor allem der Universitätscampus - sind wie leergefegt. So habe ich China noch nie erlebt - es ist am ehesten mit unserem Weihnachtsabend vergleichbar. Ich war darauf leider nur unzureichend vorbereitet und ernähre mich daher seit gestern ausschließlich von Fertignudeln und Äpfeln.


Umso dankbarer bin ich, dass ich die Möglichkeit hatte, den Neujahrsabend mit Linan zu verbringen - auf ganz traditionelle Art.
Zunächst kauften wir Lebensmittel ein. Angesichts der Mengen, die wir da besorgten, fragte ich mich zwar zunächst, wer denn die anderen fünfzehn Gäste wären, die wir ganz offensichtlich zu bewirten planten. Aber wir sind ja in China. Und hier versteht man es, ziemlich wenig Mensch über ziemlich viel Essen zu stülpen.


Folgerichtig war der nächste Programmpunkt ein Kochmarathon. Über drei Stunden lang bereiteten wir Spezialitäten wie 红烧肉 (karamelisiertes Rindfleisch in Sojasauce - eine Shanghai-Spezialität), 西红柿炒鸡蛋 (Paradeiser-Omelette), 麻婆豆腐 (Tofu mit Chilis und Faschiertem - eine Sichuan-Spezialität), außerdem Hendlflügerl in Cola(!)-Sauce sowie das klassische Essen für den Neujahrs-Abend: 饺子 (Jiaozi - die chinesischen Ravioli).


Letztere frisch zuzubereiten ist eine durchaus zeitaufwändige Angelegenheit. Das Gemüse für die Füllung kleinzuhacken oblag mir, die Rolle der "Jiaozi-Roll-Lehrerin" übernahm dankenswerter Weise Linan.


Irgendwie schaut bei ihr alles einfacher aus ...

... aber die Ergebnisse waren ganz o.k.

Überhaupt hat alles ganz hervorragend geschmeckt! Ein bisschen viel vielleicht, aber der Abend war ja lang.

Nachdem ich so viel kochen und essen musste, hatte ich mir eine kleine Kalligrafie-Stunde redlich verdient, fand ich. Und so sah ich zum ersten Mal live und mit eigenen Augen, wie die einzelnen Striche tatsächlich zu konstruieren wären - bisher hatte ich aus einem Buch gelernt, wo einen irgendwelche dummen Pfeile und Beschreibungen hauptsächlich verwirren, aber nur wenig weiterbringen.

Zu sehen, wie es wirklich geht, war hochinteressant - und ein wenig demotivierend. Denn ich fand heraus, dass ich selbst für einen einfachen Punkt zu blöd war.

Ich übe eine der etwa zehn verschiedenen Arten von Punkt, den die chinesische Kalligrafie kennt. Mit heißem Bemühen - und ausgesprochen bescheidenem Erfolg. Die vielen tollen Zeichen auf dem Blatt stammen von meiner lieben Lehrerin, die diesen denkwürdigen Moment der Punktproduktion dankenswerter Weise auch für die Nachwelt festgehalten hat.

Danach gab es noch einige Runden an Würfelspielen, während wir im Fernsehen die große Neujahrsgala mitverfolgten - und um Mitternacht dann die gigantischen Feuerwerke. Erst auf dem Heimweg realisierte ich, dass wir zwar genügend Jiaozi gerollt hatten, um ganz China zu ernähren - aber glatt vergessen hatten, sie auch zu essen. Denn traditionell darf man sie erst nach 23 Uhr kochen - und wir waren viel zu beschäftigt mit Würfeln, Fernsehen und Feuerwerk-Schauen. Nun liegen also grob geschätzte zwei Kilo ebenso wohlvorbereitete wie ungekochte Jiaozi in Linans Kühlschrank. Ich bin sicher, sie hätten ebenso großartig geschmeckt, wie sie professionell ausgesehen haben. Erfahren werde ich es leider nie.

Zum Nachkochen darf ich hier abschließend noch ein kleines Lehrvideo präsentieren - und wünsche ansonsten noch: 新年快乐!

Freitag, 23. Januar 2009

The Sound of Music

Jeder hier in China kennt Österreich. Es ist fast schon peinlich. Selbst der wildeste Taxler im hintersten Winkel strahlt mich nach erfolgreicher Erfragung meines Heimatlandes erfreut an und weiß sofort drei Dinge: "Wien! Musik! Sound of Music!"

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich den bewussten Film vor meinem China-Aufenthalt nicht einmal kannte. Als sie das erfuhr, zwang mich meine liebe chinesische Sprachpartnerin dazu, ihn sofort anzusehen. Und so fand ich mich mitten in Shanghai, liebliche Salzburger Panoramen vor meinem Auge einherziehend, und dazu eine blaugelockte Schar blondäugiger Kinder gar frohgemute Liedlein trällernd, die (entfernt) an unsere schöne Volksmusik erinnern.

Linan macht in Sachen Heimatkunde aber keine halben solchen, denn gestern war es endlich soweit: Sie schleppte mich in ein Karaoke-Lokal. Nun muss man dazu wissen, dass in China Karaoke eine absolute Volksseuche ist. Jedes zweite Haus trägt die Aufschrift "KTV", die andeutet, dass man dort drinnen stundenweise kleine, mit rotem Plüsch ausgestattete Räume mieten kann, um ...

NEIN!

sondern: um Karaoke zu singen. Per Knopfdruck kommt ein Ober und bringt Getränke, per anderem Knopfdruck kann man aus hunderten chinesischen, koreanischen oder englischen Liedern auswählen.

Gestern war ich also zum ersten Mal an einem solchen Hort der Musik und stellte fest: Das macht Spaß!

So greinte ich mich denn durch Hadern wie "Blowing in the Wind" oder "Hotel California", sülzte mich über einen bedauernswerten "Danny Boy" zur (gottseidank belastbaren) "Bridge over Troubled Water", wich gerade noch einer "Sloopy" aus, stieß dafür allerdings frontal mit "And Rust" (und leider ziemlich wenig "Diamonds") zusammen, um schließlich mit einer verkühlten Version von "Hit me Baby one more Time" den absoluten Zenit musikalischen Schaffens zu erreichen.

Dachte ich. Denn meine liebe Freundin - die mich selbst mit tadellosen Versionen chinesischer, taiwanesischer und hongkongesischer Pop-Heuler niederschalmeite - wählte ohne mein Wissen "Edelweiß", ein Lied aus "Song of Music", das doch tatsächlich in einer Deutsch-Englisch-Chinesischen Version vorlag, und die wir in einem ergreifenden Duett zum besten gaben.

Was sich da akustisch abspielte, hätte dem stärksten Karpfen die Schuppen von der Haut geblasen, sage ich Euch.

Neiderfüllte Gesichter klebten dementsprechend auch an der nur leidlich schalldichten Türe unsere Kabine, während aus dem Inneren seelenvolle Chinesisch/Englisch/Deutsche Klänge eindringlich und endgültig mit dem schlimmen Vorurteil aufräumten, alle Österreicher wären musikalisch.

Unterstützt wurde der vollendete Trommelfellschmeichler noch von der Tatsache, dass ich größtenteils den chinesischen Part, Linan den deutschen übernahm - sowie durch mein vom Husten in ungemein erotische Stimmregionen irgendwo zwischen Gerda Rogers und Heintje gequetschten Vokalorgan.
Bescheidenheit ist gut, aber Fakten muss man anerkennen: Es war schlicht und ergreifend eine Sensation!

Daran ändert es auch nichts, dass selbst der automatische Applaus vom Band nach unserer Interpretation dieses Klassikers nicht mehr funktionierte.

Donnerstag, 22. Januar 2009

Sichuan - IIb: Kung Fu Panda/der Film

Ok, ok - es ist ja nicht so, dass das hier ein undemokratisches Forum wäre. Der Wunsch nach einem der Pandafilme drang an meine Augen, also hänge ich ihn hier unten dran. (Inklusive beeindruckender Live-Samples von Sichuan-Chinesisch - außer mir war da noch eine Familie, die sich die Panda-Butzerln angeschaut hat.)

Nachdem ich das gesehen hatte, war mir auch klar, dass der Film "Kung Fu Panda" eigentlich völlig aus dem Leben gegriffen war. (Wer den noch nicht gesehen hat: Der ist wirklich herzig!)

Ich hoffe, dass das Hochladen klappt - es sind immerhin 25 MB.

Viel Spaß.


Dienstag, 20. Januar 2009

Sichuan - II: Riesenbuddhas und Minipandas - meine Ausflüge

Wie schon angedeutet, habe ich den Satz "Ein Mann, ein Wort" zu meinem Lebensmotto gemacht. An ebendieser Stelle tönte ich noch vor Beginn meiner Sichuan-Expedition, diese zu keiner solchen werden zu lassen, sondern wegen der enormen Menschenmassen-Reisezeit brav in Chengdu zu bleiben, und diese doch große Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten genau unter die Lupe zu nehmen.

Nun ja.

Die Folge dieses lobenswerten Vorsatzes war natürlich ein unwiderstehlicher Drang, aus der Stadt rauszukommen - und zwar so schnell wie nur irgend möglich. Zu meiner Freude (und Überraschung) war dies auch problemlos möglich, da die Menschen in China zwar zum Frühlingsfest wie die Heuschrecken reisen, aber offenbar nicht so sehr auf Kurzstrecken.

Leshan: Ein Mordstrumm Buddha ist kaum zu finden
So führte mich bereits am zweiten Tag mein Weg zur südlichen Long-Distance-Bus-Station. Das ist übrigens einer netten Dame in einer Bahnticket-Vorverkaufsstelle zu verdanken, die sich weigerte, mir ein Zugticket nach Leshan zu verkaufen, weil das - wie sie meinte - zu umständlich wäre. Ich solle doch lieber mit dem Bus fahren.

Und recht hatte sie: In Leshan GIBT es nämlich gar keine Zugstation! Das Tolle daran: Tickets dorthin werden trotzdem verkauft. Obwohl allerdings zwar der Name der kleinen Stadt auf der Fahrkarte steht, hält der Zug tatsächlich in einer anderen Stadt, 40 Kilometer entfernt. So gefinkelt sind die Chinesen!

Ich jedenfalls stand am Folgetag um 7 Uhr auf. (Um 7 Uhr! Ich!! Freiwillig!!!) Dunkel war's, kalt - und natürlich dickster Nebel, wie immer, wenn ich mich auf meine geliebten Reisen durch's chinesische Hinterland begebe, um möglichst viel von der Landschaft mitzubekommen.

Als ich dann so herumstand im Warteraum der Busstation - mit dem erfolgreich gekauften Ticket in der Hand - und mir etwas Sorgen machte, weil ich kein Rückfahrticket erstehen konnte, fragte ich einfach mal aus Jux und Tollerei einen etwas nervös wirkenden Angestellten der Busgesellschaft, wo und wann denn mein Bus losfahren würde. So erfuhr ich auch, warum der gute Mann so nervös war: Der ganze Bus wartete nur noch auf mich, denn er wollte eigentlich ganz gerne losfahren. Ich fühlte mich geschmeichelt: Ein ganzer Bus! Wartet! Auf mich! Das ist nett.

Nun, "ganzer Bus" ist in diesem Fall ein bisschen hochtrabend, denn es handelte sich um ein Fahrzeug mit einer Gesamtkapazität von genau sechs Leuten, deren einer ich selbst war. So zwänge ich mich also in den Winz-Bus, und los geht's. Während der 150 Kilometer langen Fahrt studiere ich meinen treuen Lonely Planet Reiseführer und finde heraus, dass der größte Buddha der Welt - die wichtigste Sehenswürdigkeit in Sichuan - tatsächlich nicht so wirklich genau in der Stadt Leshan ist, sondern *misst.mit.den.Fingern.auf.der.Karte* (eins, zwei, ...) etwa drei Kilometer außerhalb. Das kann ja kein Problem sein - da fahren wir einfach rein nach Leshan, dachte ich, schauen uns die Busstation an, dachte ich, kaufen dort gleich ein Rückfahrticket, dachte ich, und dann spazieren wir die drei Kilometer bis zum Buddha. Dachte ich.

Nun.

Chinesen tendieren leider dazu, immer genau dann fürchterlich hilfsbereit zu sein, wenn das nur zu Verwirrung führt. Mein Busfahrer war ein solch hinterhältiger Typ. Fragt der Mann doch jeden einzelnen seiner Insassen, wo er oder sie denn gerne aussteigen würde - anstatt einfach zur zentralen Busstation zu fahren! Eine Frechheit. Ich sage dann halt, ich würde mir gerne den großen Buddha anschauen - und ein mitreisendes chinesisches Pärchen will das auch. Außerdem glaube ich zu verstehen, dass die beiden nach erfolgter Besichtigung auch gerne wieder nach Chengdu zurückwollen. Das ist gut, da kann ich mich dranhängen.

Nachdem wir also die (angeblich) wunderschöne Landschaft von Sichuan in einem Nebel durchmessen hatten, der dick genug war, um mir gerade noch den Blick nach vor zu meinem Brillenglas zu ermöglichen, fährt der Busfahrer nach Leshan hinein, auf der anderen Seite wieder heraus - und dann jene 15 Kilometer, die der große Buddha tatsächlich außerhalb der Stadt liegt. Tja, auf die Pläne im Lonely Planet ist eben Verlass. "Und was mach ich jetzt bitte?" frage ich mein inneres Auge (die taube Nuss), "wie komm ich von hier draußen jemals wieder nach Leshan - geschweige denn zurück nach Chengdu? Muss ich hier etwa elendiglich verhungern?"

Egal, da ist ja dieses Pärchen, die wollen das ja auch. Also - nicht verhungern, sondern zurück nach Chengdu.

Soooviel zu meinem chinesischen Hörverständnis; denn als ich den beiden strahlend eröffne, dass sie das Glück hätten, mit mir gemeinsam nach Chengdu zurückzufahren, antworten sie mit freundlicher Verwirrung, dass sie dieses gar nicht zu tun gedenken.

Wie dem auch sei, ich habe jenes - wie sich herausstellt - riesige Gebiet erreicht, auf dem nicht nur der große Buddha steht, sondern auch ganz viele andere Statuen und Heiligtümer.

Um das ganze abzukürzen: Ich schaffe es, mich zunächst im Park zu verirren und den großen Buddha gar nicht zu finden - danach komme ich von ihm dafür gar nimmer weg: Wo auch immer ich hingehe, schon nach kurzer Zeit sehe ich wieder der Riesenstatue linkes Ohrläppchen vor mir (das immerhin 3 Meter lang ist).

Das Heimkommen ist dann überhaupt insgesamt recht abenteuerlich. Aufgrund des schlechten Wetters habe ich die einmalige Erfahrung, praktisch alleine diese Stätte zu besichtigen, von der ich von Fotos weiß, dass sich üblicherweise Menschenmassen durch sie hinwegwälzen. Dadurch habe ich allerdings auch Mühe, Menschen zu finden, die ich nach dem Ausgang fragen kann. Das schaffe ich aber dann doch - und stehe also kilometerweit außerhalb von Leshan im Nichts.

Zum Glück gibt's da draußen aber eine alte Dame. Auf meine Frage hin, wie ich denn nach Chengdu käme, holt sie einen älteren Herrn. Dieser kennt einen weiteren älteren Herrn, der mich wiederum einem jüngeren Herrn vorstellt. Und der setzt mich auf sein Motorrad.

Als ich dann also kurze Zeit darauf - selbstverständlich ohne Sturzhelm - auf einem Motorrad mit etwa 130 km/h durch die chinesische Pampa düse, Tränen in den Augen vom Fahrtwind, bin ich relativ gespannt, wo mich der Gute denn eigentlich hinbringt. Wenn ich ihn recht verstanden habe, zu einer Busstation. Gut wär's, die gesamten 150 Kilometer nach Chengdu halte ich so jedenfalls nicht aus. Und tatsächlich: Nach zehn Minuten Fahrt stehe ich im noch wilderen Nirgendwo, aber neben einer Busstation. Dort smalltalke ich mit meinem Fahrer, der sich sehr für mein Heimatland interessiert - bis der Bus kommt, in dem ich ein Ticket kaufe, das um einiges billiger ist als für die Herfahrt. Und das war's. Bezahlt habe ich dem freundlichen chinesischen Biker für den Transport nichts - aber nachgewunken hat er mir noch. Im Bus verkaufen mir dann noch einige alte Bäuerinnen etwas zum Essen - irgendwelche in Bambus gewickelten Klebereistaschen mit Fleischfüllung - und mir geht's eigentlich ziemlich gut.

Und hat sich meine kleine Reise ausgezahlt? Das kann man aber laut sagen! Der gesamte Park ist großartig - und der 71-Meter hohe Buddha ist absolut atemberaubend.

Aber sehet selbst:




Die gesamte Anlage, wo der Große Buddha steht, ist riesig - mit Unmengen an Statuen, Höhlen, Tempeln und sonstigen buddhistischen Heiligtümern. Und ihr stolzes Alter von 1.300 Jahren sieht man ihnen wirklich nicht an.



Besonders nicht diesem freundlichen, heiligen Herrn, der sein Bäuchlein auch nach so langer Zeit ganz offensichtlich noch sehr zufrieden vor sich herschiebt. Ich weiß nicht ... die Buddhisten haben schon mehr Spaß mit ihren Heiligenbildern als wir faden Christen in Österreich. Könnt ich mir zumindest vorstellen.



Und da ist er dann schließlich: der große Brummer. Auf Fotos kann man leider überhaupt nicht wiedergeben, wie unglaublich riesig der ist. Extrem enge, extrem steile Stiegen (im Hintergrund sichtbar) führen von ganz oben bis ganz unten und auf der anderen Seite wieder rauf - für die gefällige Besichtigung aus jeder Perspektive.



Hier steige ich bereits hinunter (zum Vergleich: ein Mensch ist etwa halb so groß wie das Ohrläppchen) ...



... und schließlich habe ich die Füßchen erreicht. Schuhgröße 578. Nur für die große Zehe.



Von hier überblickt man auch den Min-Fluss - und der sich zu dieser Zeit etwas lichtende Nebel erlaubt mir sogar einen Blick auf die ach-so-nahe Stadt Leshan.



Ya'an: An der Grenze zu Tibet

Schon zwei Tage nach meinem Buddha-Trip reizte es mich, doch einmal möglichst nahe an die tibetische Grenze heranzufahren. Nun gehört der gesamte Westen Sichuans geografisch und kulturell bereits zu Tibet, also konnte ich mit einem einfachen Ausflug von abermals etwa 150 Kilometern in das kleine Städtchen Ya'an an diese Grenze vorstoßen. Noch weiter ist im Winter ohnehin nicht zu empfehlen, da sehr kalt (weil hohe Berge) - und außerdem brauchen die Busse auf den "gefährlichsten Hochpässen der Welt" etwa einen halben Tag pro 100 Kilometer. Nein, nein, das muss nicht sein - ich fahr einfach in den letzten noch locker erreichbaren Ort.

Außerdem schau ich mir so gerne die europäischen Tibet-Reisenden an - zu erkennen an den Rastalocken, Piercings, bunten Pluderhosen (Männer), langen Haaren mit Stirnbändern, bunten Brillen, Birkenstockschlapfen (Frauen) und dem Baby in der Patchwork-Tragtasche am Rücken des Mannes (falls Ehepaar) - in jedem Fall aber mit Backpack, einer Todesverachtung für Gruppenreisende oder Menschen, die in Hotels absteigen, und einer sehr kritischen Haltung gegenüber den "bösen Chinesen" - alles Kennzeichen dieser zutiefst toleranten Menschen.

Davon abgesehen gibt's in dieser Gegend auch schon 7.500 Meter hohe Berge.

Angeblich.

Denn auf meiner Fahrt nach Ya'an treffe ich einen alten Freund: den Nebel. Er ist so freundlich, mich die gesamte Reise zu begleiten - und von eventuellen Himalaya-Vorgebirgen, die da irgendwo liegen sollen, bemerke ich rein gar nichts. Aber dafür sehe ich sehr viel entspannendes Weiß.

Im Ort Ya'an selbst eröffnet sich mir, warum dort niemand hinfährt: Es gibt einfach absolut nichts zu sehen! Aber schon wirklich gar nichts. Na gut: eine ziemlich tolle Brücke, aber ansonsten ist das ein freundliches und völlig normales chinesisch-tibetisches Städtchen. Meine paar Stunden für diverse Spaziergänge reichen dann auch völlig aus - stets begleitet vom mauloffenen Starren der lokalen Bevölkerung, die offenbar noch nicht oft europäische Gesichter gesehen hat. Jedenfalls muss ich mich mehrmals mit mir völlig fremden Familien und Freundesgruppen fotografieren lassen. Ein seltsames Gefühl, nun vielleicht irgendwo als Foto am Kaminsims von diversen chinesischen Familien herunterzugrinsen.



Das einzig sehenswerte in Ya'an: das chinesische Pendant zur Ponte Vecchio. Sichuan hat ja eine 3.000 Jahre alte Teekultur - und dementsprechend ist auch fast jedes einzelne Geschäft auf dieser Brücke ein Teehaus. Ich kaufte dort zwei verschiedene lokale Sorten. Übrigens hervorragend.



"Wenn ich schon nix seh' von der Landschaft, dann marschier' ich wenigstens hinein", dachte ich bei mir und wanderte ein wenig in die Umgebung. Die Vegetation ist anders - aber ansonsten wären die dortigen Bauernhöfe auch in der Südsteiermark nicht undenkbar.
Die lokalen Bauern haben vielleicht blöd geschaut, als auf einmal ein wohl etwas verlegen grinsender, westlicher Tourist inklusive Rucksack und Kartenmaterial mitten durch ihr Gehöft marschierte.



Tibetische Kultur ist in Ya'an allgegenwärtig. Und ich muss gestehen: Ich bereue, bei den Straßenhändlern nichts gekauft zu haben. Was mach ich jetzt, wenn ich gach eine Bärentatze benötige? Zum Glück habe ich im Verlauf meines Aufenthalts zwei sehr nette Tibeter kennengelernt, die mich zu sich nach Hause in Gyatse (Tibet) eingeladen haben. Die kann ich ja im Rahmen des Besuchs fragen, ob sie mir eventuell eine Reserve-Tatze abtreten könnten.



Panda-Butzerln

Wiederum zwei Tage später führte mich ein Pflicht-Ausflug zur größten Panda-Zuchtstätte der Welt.

Die Giant Panda Breeding Research Base liegt einige Kilometer nördlich von Chengdu. Nach einiger Verhandlung konnte ich einen Taxifahrer (ja, ich fand einen) dazu überreden, für einen Pauschalpreis an diesem Tag mein Fahrer zu sein; denn ich hatte keine Lust, für so einen kleinen Trip eine dieser lähmenden und lärmenden Touren zu buchen.

Unsere zwei Pandas im Schönbrunner Zoo wurden übrigens in dieser Research Base geboren, also war das gewissermaßen ein Verwandten-Besuch.



Die Basis ist viele Hektar groß und bietet den Pandas artgerechte Haltung in Anlagen, die etwa mit Safariparks zu vergleichen sind.



Hier gibt es immerhin 40 Riesenpandas (und einige Rote Pandas) zu bewundern - und der Park selbst ist auch toll gestaltet: mit Museum, der Möglichkeit, die Forschungsstationen zu besichtigen, Dokumentarfilmen, hübschen Spazierwegen - und der größten Attraktion ...

... der Babystation. Während sich in Wien Menschenmassen um einen raschen Fernblick auf Fu Long prügeln, stand ich hier eine halbe Stunde alleine etwa 10 Zentimeter entfernt von sieben Pandababies, die wie die Wahnsinnigen herumtollten, kletterten und spielten. Fotografieren konnte ich nur diese drei müden Bärlis, weil die ruhig genug hielten, um bei den schlechten Lichtverhältnissen ein Foto zu ermöglichen.

Sonntag, 18. Januar 2009

Sichuan - I: 成都 (Chengdu)

Sodala, da bin ich wieder. Eine ebenso anstrengende wie abwechslungsreiche und aufregende Reise liegt hinter mir - und es war ja völlig klar, dass ich genau dann, wenn ich beschließe, eher statisch zu sein und nur ganz bieder eine Stadt zu bebummeln, besonders viel und besonders abenteuerlich herumfahre. Dementsprechend viele "Firsts" gab es auf dieser Reise auch für mich, und es war sicher jener Trip mit den meisten persönlichen Erlebnissen.

Scharf und Scharf
四川 (Sichuan, Setschwan, Szechuan, etc. - "Vier Flüsse") ist eine große Provinz in Chinas Südwesten. Fast alle Speisen, die wir in Österreichs kulinarischen Tempeln genannt "Chinalokale" bekommen, basieren auf der Küche dieser Provinz, die auch in China selbst höchst beliebt ist. Natürlich kennen wir in Österreich nur einen kleinen Ausschnitt davon - denn angeblich gibt es alleine in Sichuan über 5.000 verschiedene, traditionelle Gerichte. Und scharf sind die, dass einem die Tränen kommen. Im Chinesischen gibt es ja mehrere Wörter für "scharf". Die Sichuanesische Küche ist 麻辣 ("ma la") - die Bezeichnung für eine Schärfe, die weder im Hals noch im Magen brennt, stattdessen aber ein prickelndes, taubes Gefühl im Mund erzeugt, ohne wehzutun. Die Speisen der Provinz Hunan hingegen sind beispielsweise 辣 (la) - eine Schärfe, die man erst im Bauch spürt und die dort wärmt.
Tatsächlich haben wir in ganz Europa nichts, was mit der "ma la" Schärfe zu vergleichen wäre ... es ist, als würde einem der gesamte Mund einschlafen, wenn man in den in Sichuan so beliebten Gatsch aus dem berühmten "Sichuan-Pfeffer", Erdnüssen und Öl beißt, der die Basis sehr vieler Gerichte ist. Schmeckt unglaublich gut, ist ein ausgesprochen schräges Gefühl im Mund - und am nächsten Tag hat man auch noch etwas davon.

Das große Erdbeben
Aber ich schweife ab - so viel gibt's über Sichuan zu sagen, dass hier einfach nix weitergeht. Also: das Erdbeben. Letztes Jahr wurde ja diese Provinz von einem der stärksten Erdbeben erschüttert, die man in China seit langem erlebt hat. Chinas Regierung überraschte in diesem Zusammenhang mit ausgesprochen offener Berichterstattung über das gesamte Ausmaß der Katastrophe und mit intensiven Hilfsmaßnahmen.
Nun war das Beben zwar in allen Nachrichten, aber das heißt ja noch lange nicht, dass ich auch daran denke, wenn ich wo hinfahre. Deswegen wurde mir erst im Flugzeug nach Sichuans Hauptstadt 成都 (Chengdu = "die vollkommene Stadt") klar, dass das Erdbeben ja dort irgendwo stattgefunden hat. Da die telefonische Reservierung in dem kleinen Hostel vor Ort allerdings problemlos geklappt hat, bin ich einfach einmal davon ausgegangen, dass zumindest die Stadt selbst noch steht.

Das Hostel und Ray
Das Hostel selbst war dann auch schnell gefunden - es liegt inmitten eines "Hutongs", eines alten, traditionellen (aber völlig renovierten) Stadtviertels ohne Autos, das selbst eine Attraktion ist, in einem wunderschönen, alten Haus mit Innenhof. Praktisch direkt gegenüber gibt es eine nette Bar, in der ich den Barmann Ray kennenlerne. Als gebürtiger Chengduer ... Chengdute ... Chengisianer ... Chengiduliöh ... na, jedenfalls als jemand, der in Chengdu geboren ist, weiß er natürlich Bescheid: Das Epizentrum des Erdbebens lag gerade einmal 70 Kilometer nordwestlich von Chengdu. Die Hauptstadt selbst hatte sehr viele Tote zu beklagen, wurde aber nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen wie die Umgebung - die vom Erdbeben mehr oder weniger geplättet wurde. Gedanken an eine mögliche Mithilfe beim Wiederaufbau kamen mir an dieser Stelle, aber dafür wäre wohl eine Woche eventuell ein bisschen zu kurz gewesen. Ray versicherte mir indes, dass jetzt alles wieder in Ordnung wäre - und zumindest auf meinen Reisen in die Umgebung waren keinerlei Spuren der Zerstörung zu sehen.

Ich war in dieser Woche zum Tagesausklang dann noch zweimal Gast in der Bar "Softtone" und plauderte mit Ray über allerlei epochale Dinge. Der 21-Jährige ist zwar eher vom Typ "chinesischer Strizzi", aber trotzdem ausgesprochen nett - und führte mich außerdem in den Sichuanesischen Dialekt ein, der vom Hochchinesischen fast ebenso stark abweicht wie das Shanghaiische. Und auch fast ebenso hässlich klingt, übrigens, mit seinen scharfen "ss" Lauten, wo eigentlich "sch" sein sollte, und den vielen grauslich gedehnten "äääää". Aber schon wieder schweife ich ab.

Mein Hostel, das "Dragon Town Guesthouse", hat alles, was das Herz begehrt: Wunderschöne, original antike Architektur, einen offenen Innenhof, freundliches Personal ... Gut, Heizungen wären bei den vorherrschenden Minusgraden vielleicht noch eine nette Draufgabe gewesen. Duschen bei 10 Grad Badezimmertemperatur hat eher Kneippschen Charakter.

Ray (rechts) und das übrige Personal des "Softtone" Pubs entpuppten sich als reichhaltige Quelle für Informationen über Sichuan und China, die in keinem Reiseführer stehen.
Interessant beispielsweise, dass in Rays Schule der Sexualkunde-Unterricht getrenntgeschlechtlich stattfindet und immer nur das jeweils eigene Geschlecht gelehrt wird. "So müssen wir alles selbst herausfinden", meinte Ray mit etwas unglaubwürdiger Kummermiene.


Die Sache mit den Sichuanesischen Taxis
Bevor ich nun gleich einen eher unlustigen aber dafür optisch ein-Hammer-seienden Bilderreigen der größten Sehenswürdigkeiten der Stadt Chengdu über meine wehrlosen LeserInnen ergieße, gibt es noch eine letzte Besonderheit, die zu erwähnen auch im Hinblick auf mögliche künftige Reisen seitens der KonsumentInnen dieses Blogs nicht uninteressant ist: den Verkehr in Chengdu. Und hier ganz speziell die Taxis und Busse.

In sämtlichen anderen chinesischen Städten, die ich bisher besucht habe, braucht man sich nur einmal am Kopf kratzen, um innert Sekundenbruchteilen von dreiunddreißig beförderungswilligen Taxis über den Haufen gefahren zu werden. In Shanghai vermeide ich so gut es geht, bei einem Spaziergang meinen Schritt zu verlangsamen oder meinen Blick Richtung Straße schweifen zu lassen, aus Furcht vor den Massen an Taxis, Dreirädern und Fahrrad-Rikschas, die mir dann sofort den Weg versperren und mich mit allen Mitteln zur Mitfahrt zwingen wollen.

Nicht so in Sichuans Städten. Sei es Chengdu, Chongqing, Leshan oder Ya'an: Einmal alle heiligen Zeiten gurkt in heiliger Ruhe ein einsames Taxi die Straße entlang - und wird sofort in einer symmetrischen Umkehrung der gewohnten Situation von Heeresscharen wildgewordener Fußgänger umzingelt, die unverzüglich mit vollem Körper- und Geldeinsatz in epische Schlachten um den begehrten Fahrgastposten ausbrechen. Und wer einmal Chinesen in vollem Einsatz erlebt hat, der will da nicht in die Quere kommen. Kurz und gut: Auch wenn sich mir der Grund nicht erschließt, Sichuan - und insbesondere Chengdu - leidet an einem verheerenden Taxi-Mangel. Eine Folge davon sind jene unfassbar komprimierten Menschenbündel, die wie von Geisterhand auf Chengdus Straßen dahinwälzen, und nur bei genauer Betrachtung jene hauchdünne Autobus-Hülle preisgeben, die sie gerade noch irgendwie umschließt, stets haarscharf an der Grenze zur Explosion.

Ich bin also viel zu Fuß gegangen in dieser 5-Millionen-Einwohner-Stadt.

Und wie schaut die eigentlich aus?

So:

Der "Tianfu-Platz" im Zentrum der Stadt ist ein klassisch kommunistischer Prunkplatz - von einer Kollossalstatue des Herrn Mao majestätisch überwunken, bietet er moderne Skulpturen, riesige Einkaufszentren, musikuntermalte Wasserspiele gigantischen Ausmaßes - und vor allem viel Platz.


Der 1.000 Jahre alte Wenshu Tempel ist einer der größten und besterhaltenen buddhistischen Tempel der Provinz. Er bietet prächtige Architektur der Tang-Dynastie, die man - ganz China-untypisch - nicht fotografieren darf. Und drumherum gibt's bei Straßenhändlern das übliche Gemisch aus Kunst und Kitsch, das in Sichuan noch ein gutes Stück vielfältiger ausfällt und dem ich daher noch ein eigenes Posting widmen möchte.

Im ältesten und größten taoistischen Tempel der Stadt - dem Qingyang Tempel - soll vor einiger Zeit Lao Tse persönlich einen Freund getroffen haben, der ihn trotz seiner Verkleidung als Ziegenhirte sofort erkannte. Das ist natürlich eine Sensation (wenn auch reichlich seltsam), und deswegen gibt's da heute zwei Statuen von Ziegen. Und eine ganz eigene, friedliche Stimmung. Meiner Meinung nach die interessanteste architektonische Sehenswürdigkeit von Chengdu - ganz besonders, wenn man sich für Taoismus interessiert.

Und deswegen gibt's davon auch ein zweites Bild. So schauen die taoistischen Mönche aus - mit schlichten, blauen Roben, langen Haaren, die - zu Knoten gebunden - aus oben offenen Mützen herausschauen, und langen Bärten. Ziemlich coole Typen. Und verdammt viele, verdammt komplizierte Gottheiten gibt es in taoistischen Tempeln - besonders wenn man bedenkt, dass der Taoismus eigentlich irgendwo zwischen Philosophie und Religion schwimmt.


Übrigens steht momentan natürlich auch in Chengdu alles im Zeichen des bevorstehenden chinesischen Neujahrsfestes. Am 25. Jänner wechseln wir ja vom Jahr des Ratzen in das Jahr des Rindviechs. Auch in den Tempeln ist daher alles festlich geschmückt. (Hier im Wuhou-Tempel. Glaub' ich.)


Ja gibt es denn in Chengdu nur Tempel, höre ich Euch fragen? Mitnichten! Es gibt auch ganz große, ganz alte Erdhaufen! Wie beispielsweise diesen hier, der mit einem großen Eingang versehen ist. Es handelt sich dabei um das Grab des berühmten Generals Wang Jian - das einzige oberirdische Grabmal Chinas, das für seine 1.000 Jahre noch ziemlich frisch aussieht. (Bildlich gesprochen.) Im Inneren kann man die einzige erhaltene Repräsentation einer Live-Band aus der damaligen Zeit bewundern: 24 Musiker mit ihren Instrumenten sind als Statuen erhalten.


Immer wieder peinlich für mich ist auch die Erfahrung, dass zwar jeder Chinese Shakespeare oder Goethe kennt - uns aber selbst Literaten von so gewaltigem Einfluss wie Li Bai oder Du Fu recht chinesisch vorkommen. Letzterer - einer der wichtigsten Dichter der Tang-Dynastie - hat vor gut 1.200 Jahren in Chengdu gelebt, in einem kleinen Strohdachhaus, um das herum ihm die Kaiser nachfolgender Dynastien ein Denkmal in Form eines riesigen Parkes gesetzt haben. Hier der Eingang.


Hier das recht gemütliche Anwesen, das der Dichter selbst gebaut hat. Wäre in der Nähe vom Neusiedlersee auch nicht so falsch am Platze.

Auch einer der wichtigsten klassischen Dichterinnen Chinas hat man in Chengdu ein Denkmal in Form eines Parkes gesetzt: Xue Tao war ganz narrisch auf Bambus, deshalb gibt es in ihrem Park auch Bambuswälder mit über 150 verschiedenen Arten dieses Mega-Grases ...


... und außerdem ein (teils Freilicht-)Museum mit traditioneller Bambus-Kunst.


Sichuan grenzt ja an Tibet, und so gibt es in der Hauptstadt eine lebendige tibetische Community. Viele Geschäfte sind zweisprachig angeschrieben, überall gibt es tibetische Waren und Kleidung zu kaufen - und auf der Straße sieht man massenhaft tibetische Gesichter und traditionell gekleidete Menschen.

Im nächsten Teil möchte ich gerne über meine drei Tagesausflüge schreiben. Da werde ich mich näher mit faszinierenden Themen befassen wie beispielsweise völlig falschen Entfernungs- und Zeitangaben im Lonely-Planet-Reiseführer, einer helmlosen Motorradfahrt durch Sichuans Hinterland, der Tatsache, dass scheinbar alle Wege keineswegs nach Rom, sondern zum größten Buddha der Welt führen; außerdem mit chinesischen Bauernhöfen und jenem Teil von Tibet, der tatsächlich mitten in Sichuan liegt.

Freitag, 9. Januar 2009

Ab in die Mitte!

Übermorgen, am 11. Jänner 2009, verziehe ich mich für ein Wocherl nach Sichuan - die Provinz mit dem schärfsten Essen, den höchsten Bergen, der üppigsten Vegetation und den schönsten Frauen (obwohl letzteres eh jede Provinz von sich behauptet).

Aufgrund der langsam einsetzenden Massenwanderungen anlässlich des chinesischen neuen Jahrs habe ich beschlossen, dies mehr zu einer klassischen Besichtigungstour werden zu lassen. Soll heißen: Ja, in Chengdu, der Hauptstadt, in der ich meine Zelte aufschlagen werde, gibt es ganz, ganz viele Sehenswürdigkeiten. Und sollte ich mich doch hinausbewegen, erwarten mich weitere faszinierende Dinge in nächster Umgebung - wie die größte Buddha-Statue der Welt, der heiligste Berg der Taoisten oder das größte Bewässerungsprojekt Chinas. In Chengdu selbst begeistern großartige Klöster, taoistische Heiligtümer, kunstvolles Handwerk diverser Minderheiten und lebendige tibetische Kultur. All das kann ich mir anschauen!

Oder ich bleib einfach im Zimmer und lös' Kreuzworträtsel. Da tät' China aber schön schauen, wenn ich nicht schau' - ha!

Da ich diesmal in einer kleinen, alten Jugendherberge residiere, rechne ich nicht mit Internet-Anschluss - und werde mich folglich wohl erst nach meiner Rückkehr am 19. Jänner wieder melden.

Bis dahin darf ich mich mit pädagogisch Wertvollem verabschieden: Will man sich in eine für uns fremde Kultur wie China möglichst problemlos einfügen, ist behutsame Kontaktnahme zu den hiesigen Kleinkindern unter Anwendung höchster Sensibilität von größter Bedeutung ...

Mindestens ebenso wichtig ist es, dabei stets leuchtendes Vorbild zu sein und als lebendiger Beweis dafür zu fungieren, dass die westliche Kultur keineswegs etwas zu Verteufelndes sei und somit schlechten Einfluss ausübt ...

In diesem Sinne: Bis bald - und ich bin dann schon wieder mal weg ...

Mittwoch, 7. Januar 2009

Guangxi - VI: Schräges

Letzte Nacht war ich sehr brav. Selten so viel trainiert. Etwa alle zehn Minuten den gesamten Weg zwischen Bett und WC zurückgelegt - hin UND zurück! Und auch wenn ich nun ein wenig müde bin, so fühle ich mich doch ... ähm ... innerlich gereinigt.
Mein Verdauungsapparat hat nun beschlossen, Ruhe zu geben. Vielleicht war's das ja, vielleicht hilft jene chinesische Medizin, die mir mein lieber Freund Chua gab, und die ich seitdem fleißig einnehme. Kleine, schwarze Kugerln. Aus dem Flascherl, in dem sie verpackt sind, riecht es raus, als wäre drinnen kürzlich jemand verstorben. Aber es scheint zu helfen, also beklage ich mich nicht. Ich hoffe nur, ich finde niemals raus, was da alles enthalten ist - wer jemals in einer traditionellen chinesischen Apotheke war, weiß warum.
Jedenfalls dacht' ich gerade leis' bei mir: Wenn wir schon von Schrägem und Bizarrem sprechen (außerdem keinen Schritt vor die Türe gehen können und zusätzlich gerade nicht am Klo sitzen), können wir doch flugs den letzten Guangxi-Eintrag endlich nachliefern. Die gute Nachricht dabei: Der Worte sind's nicht viele, der Bilder dafür umso mehr. Also los geht's ...


China ist ja generell ein sehr musikalischer Ort. Das gilt auch für Guangxi. Seien es blinde Bettler, die auf selbstgebastelten Erhu (= 2-saitigen Geigen) mitten auf belebten Straßenkreuzungen spielen ...

... oder professionelle Erhu-Spieler, die in Parks üben und dabei geradezu klassisch chinesische Bilder prägen ...



... oder einfach das gesamte chinesische Volk, das in jedem Park, auf jedem Platz, zu jeder Tages- und Nachtzeit gemeinsam tanzt. Und zwar Manderl und Weiberl, jung und alt, reich und arm - zu jeder Art von Musik: von Peking-Oper bis zu Hardcore-Techno.
Und erst, wer einmal chinesische Omas in Mao-Anzügen begeistert Hiphop-Routinen zu 50 Cents "In da Club" durchziehen gesehen hat, kann ermessen, wie engstirnig wir Europäer in muskalischer Hinsicht sind.


Die schönen Künste sind überhaupt omnipräsent. Kalligraphie wird gerne auch mal im Park praktiziert - mit Riesenpinsel und Wasser aus der Trinkflasche auf Beton. Nicht gerade Werke für die Ewigkeit.


Aber die Guangxi-Leute wissen auch, wie man sich mit leichtlebigeren Aktivitäten amüsiert: Alle paar Meter bieten ältere Herren chinesisches Schach an. Gegen sie kann man gegen ein bisschen Geld antreten, verlieren - und dann herrlich streiten. Wie im Bild ersichtlich, ist auch für Nichtspielende das Zuschauen ein gern praktizierter Zeitvertreib - seien es Fußgänger, zufällig auf dem Gehsteig vorbeirasende Motorradfahrer oder Gelegenheits-Weihnachtsmänner.


Der chinesische Sinn für Amüsement ist dabei recht allumfassend - auch Buddha himself ist mit Freude glücksspielend bei der Sache ...


... und beim Bummel durch die Straßen finden sich Hinweise, dass es auch in chinesischen Schlafzimmern lustig zugehen dürfte.


Uns Ausländern steht in Chinas Straßen dabei ein weiterer, nie versiegender Quell steter Freude offen: Übersetzungen. Ob nun Schilder auf die bestehende Möglichkeit der überraschenden Inbesitznahme eines Zentrums áufmerksam zu machen suchen ...


... oder man im Park höflich aufgefordert wird, andere zu sespecten während sie appseciaten, indem man die Unversehrtheit der Umgehbung semaint (???).


Ja, man mag schmunzeln über unvollkommene Übersetzungen. Zum Glück aber gibt es doch universelles, sprachliches Verständnis. So wissen beispielsweise auch findige chinesische Modeschöpfer, dass die Nutzung französischer Markennamen Europäern stets gehobenes Niveau und verfeinerten Geschmack suggeriert.


Und hier werden sie auch geholfen. Zum Beispiel durch Hinweisschilder. Obwohl in obigem Setting ja für jedermann offensichtlich ist, dass hier eine öffentliche Fernsprechanlage zur Nutzung bereitsteht, weist ein (nagelneues!) Schild extra noch darauf hin.


Auf Stränden gibt es Schilder, die zum Tragen angemessenen Schuhwerks auffordern. Die Interpretation dieser Worte bleibt dann hingegen offensichtlich der individuellen Auslegung überlassen.