Sonntag, 9. August 2009

Epilog: Fremd in der eigenen Heimat

Der Friede ist die Mutter aller Dinge
Ja, ich bin zurück in Wien! Und der reverse Kulturschock war groß. Nämlich insoferne, als er zunächst überhaupt nicht eintrat. Als ich so vom Flughafen Wien-Schwechat (dessen Erfolgsprojekt "Skylink" ich live würdig bestaunte) Richtung Hadersdorf-Weidlingau fuhr, war mir, als wäre ich erst vor etwa einer Woche von hier aufgebrochen. Abgesehen davon, dass sich erwartungsgemäß kaum etwas verändert hatte, fühlte ich mich noch genauso zu Hause, erkannte jedes noch so kleine Sträßlein sofort wieder, ja, sah sogar teilweise die gleichen Leute auf den gleichen Bankerln sitzen (und ich mutmaße, dass nur ein verschwindend geringer Prozentsatz dieser Menschen dort vor einem Jahr unbemerkt verstorben und im beigen Früherbst-Manterl mumifiziert zum ewigen Bankerlsitzen und Ignoriert-Werden verdammt wurden).

Ehrlich gesagt: Ich war etwas enttäuscht. Da hätte ich doch gleich in China bleiben können.

Verdammt, wer bin ich?!
Am nächsten Tag aber folgte der Schock: Ja, ich kannte die Straßen noch ... aber die Menschen waren mir fremd geworden! Ich selbst und mein Verhalten passten da einfach nicht mehr hinein.

In China bildete ich mir ein, als exotischer Fremdkörper vollkommen österreichisch und unverändert durch die Menschenmassen zu pflügen; doch hier in Wien bemerkte ich erst, wieviel Chinesisches sich offenbar an mir abgerieben hatte: Mit entspannter Selbstverständlichkeit schlapfte ich unter paradiesischer Ignoranz sämtlicher panisch-flimmernder Lichtsignale bei Rot über die Straße - und bemerkte mein Außenseitertum erst, als fast alle mich umgebenden Menschen am Straßenrand wie festgeklebt verharrten. Das fühlte sich vielleicht seltsam an. Und dann beim Billa: Ich erstand eine Dose Red Bull ... und zwängte mich gewohnheitsmäßig mitten hinein in einen der mir plötzlich ausgesprochen geräumig erscheinenden Zwischenräume jener Schlange, die zahlungswillige Menschen vor der Kasse bildeten. Natürlich fiel mir sofort auf, dass da etwas nicht stimmte - wenn nicht sowieso, dann spätestens aufgrund der beredten "Geh scheißen"-Blicke meiner Mitmenschen.

Auf der Straße war es geradezu beängstigend menschenleer und ruhig (wir sprechen von Samstagnachmittag auf der Mariahilfer Straße) - und überhaupt war die Stille von einer geradezu unnatürlichen Durchdringlichkeit und Allgegenwart: Die Menschen flüsterten miteinander, Türen wurden leise geschlossen (und mir nicht ins Gesicht geschlagen), Kinder, die mehr als einen Augenaufschlag wagten von ihren Eltern sofort zur Stille gemahnt - und sogar die Automotoren summten wie kleine Aufziehautos vor sich hin, anstatt wie anständige, chinesische Mobile bei der Vorbeifahrt mit sattem Vergaser-Heavy-Metal mir das rechte Trommelfell beim linken Ohr hinauszudrücken.

Und, verdammt, wo bin ich?!
Mein Staunen nahm einfach kein Ende: Die Parks glichen Hospizen, in denen vereinzelte, ältere Menschen schweigend und nichtstuend auf Bänken ihrem Ende entgegenschimmelten. Niemand lässt hier Drachen steigen, keiner singt oder tanzt, ja nicht einmal Karten- oder Schachspieler sind zu beobachten. Und wie schnell ich plötzlich von A nach B kam! Nicht, dass ich unbedingt nach B wollte, aber zumindest kam ich so schnell hin, dass es eigentlich eh wurscht war. Benötigte man in Shanghai von der Gehsteigkante zum gegenüberliegenden Geschäftseingang etwa 30 Minuten (und bei heftigerem Menschenaufkommen war das Erreichen oft genug eine Frage des "ob" eher denn des "wann"), kann man in dieser Zeit mit ein wenig Glück die gesamte Stadt Wien durchqueren.

Alles in Wien erschien mir plötzlich wahnsinnig klein, ruhig, durchaus beschaulich und sauber - aber auch auf faszinierende Weise zugleich extrem vertraut wie fremd. Ich sah - und das ist keine Übertreibung - diese Stadt tatsächlich gleichzeitig mit zwei Augenpaaren: meinen eigenen, und jenen eines Chinesen - und an dieser Stelle folgt kein unlustiger Witz über asiatische Augen (solche halbrassistischen "Späßchen" hasse ich nämlich), sondern ich meine damit lediglich, dass ich meine alte Heimat auf einmal so sah, wie sie auf Chinesen wirken muss. Es waren einige positive Überraschungen dabei, einige negative, vor allem aber Vieles, Vieles, das wirklich fremd und unendlich spannend ist. Und das hatte ich nun wirklich nicht erwartet.

Und ... bin ich verdammt?!
Genauso wenig hatte ich erwartet, dass ich zwar im Gespräch mit Eltern und Freunden nicht einmal ansatzweise auf die Idee käme, ins Chinesische zu verfallen. Beim Betreten eines Geschäfts hingegen verwirrte ich das (ungewohnt höfliche) Verkaufspersonal mit der wie selbstverständlich aus mir quellenden Frage: "请问,这里有卖手机的吗?" Offenbar assoziere ich zwar nach wie vor völlig natürlich meine Bekannten und Freunde mit der für Deutsch zuständigen Gehirnregion; ebenso natürlich sind mittlerweile allerdings auch "offizielle" Interaktionen wie mit Verkaufspersonal oder Kellnern auf Chinesisch abzuwickeln. (Das stört aber kaum. Denn tatsächlich bemerkte ich beim Handykauf, dass sich der Unterschied zwischen Beratungsgespräch/Deutsch und Beratungsgespräch/Chinesisch verständnisbezogen in Grenzen hält.)

Verdammt, ich lieb dich
All dies macht mich natürlich nicht nur ungeheuer interessant, es hatte vor allem auch einen Nebeneffekt: Ich kam gar nicht dazu, China zu vermissen. Es gab so viel Altes auf neue Weise zu entdecken, dass jeder Tag für mich fast ebenso spannend war als hätte ich ihn in China erlebt.

Nun bin ich seit zehn Tagen zurück, und diese Effekte beginnen allmählich nachzulassen. Im gleichen Ausmaß setzt die Sehnsucht nach China, nach Shanghai ein. Österreich und China, Wien und Shanghai - beide Welten haben so viel Schönes, so viel Spannendes, so Vieles, das es zu entdecken gibt. Ich habe jetzt zwei Orte, an denen ich mich zu Hause fühle. (Oder, wie ich es als passionierter Extrem-Optimist formulieren würde: Wo auch immer ich gerade bin, mir geht immer etwas ab.)

Vielleicht führe ich an anderer Stelle doch noch ein Blog weiter. Kommt darauf an, ob ich etwas zu sagen habe.

Vielleicht sieht man sich also dort ]:).

Mittwoch, 29. Juli 2009

Byebye China

Und diesmal wirklich. Mit dem Tag, an dem ich aus dem Studentenheim aus- und ins Hotel eingezogen bin, hat sich meine Sicht der Umgebung gewandelt. Eine fast physische Veränderung fand vor meinen Augen statt - der Einwohner wurde zum Touristen, rutschte aus dem Gewand seiner neuen Heimat heraus um sie von da an von außen zu betrachten, wie ein Museumsstück. Ein trauriger Abstand war entstanden, zwischen mir und diesem Land - aber auch zu jener Routine, die in den letzten Monaten eingekehrt war und mich gar nicht mehr würdigen ließ, was ich hier (er)leben durfte. Jetzt kann ich es wieder und sehe dieses knappe Jahr als das, was es war: die vielleicht schönste und ganz sicher lehrreichste Zeit meines Lebens.

China - ich werde Dich vermissen.

Dienstag, 21. Juli 2009

Das Wetter

Hallo, ich bin's: euer Wettergott.

Unbescheidene Begrüßung oder Einleitung zu einer Litanei darüber, wie sehr ich nicht vom Wetterpech verfolgt bin?

Letzteres.

Ich weiß, ich weiß, das ist nicht sehr originell, und jeder teilt das Gefühl, da oben im Himmel säße irgendsoein sadistisches Schwein, das jedem Erdenbürger maßgeschneidertes Dreckwetter schickt, wenn man es am wenigsten braucht.

Aber ich brachte Regen in die Rub-al-Khali - zum ersten Mal seit 5 Jahren (laut Aussage der Einheimischen). Ich darf das.

Also.

Ich war ja in Guizhou. Für vier Tage. Das war ein wirklich herrlicher Aufenthalt: die Landschaft überwältigend, die Hauptstadt Guiyang einmalig schön mitten in tropisch bewaldeten Bergen gelegen, mit aufregender Architektur und von ganz eigenem, südostasiatischem Flair, köstlich-scharfes Essen, freundliche Menschen und praktisch keine Touristen. Perfekt. Nur das, weswegen ich hingeflogen bin ... das Wetter nämlich ... naja, Hitzewelle halt. Dauer: exakt vier Tage. Beginn: am Tag meiner Ankunft, Ende: am Tag nach meinem Abflug. Temperatur: 31° - 32° (wo es sonst 25° hat). Allerdings rege ich mich da gar nicht auf, denn im Vergleich zu Shanghai war das wirklich geradezu frühlingshaft. (Gestern haben wir endlich die 40°-Marke durchschlagen. Gefühlte 46° laut Wetterbericht.)

Worüber ich mich aber schon aufrege: Seit drei Wochen haben wir in Shanghai ununterbrochenen Sonnenschein. Ohne von einem Wölklein gestört zu werden - geschweige denn von kühlendem Regen - knallt die Sonne von einem erbarmungslos blauem Himmel, während ich unentwegt röchelnd nur meine Hände gen Himmel recken und Gott um eine schattenspendende Wolke bitten konnte.

Doch Gott ist sowohl gnädig, als auch beweist er Sinn für Humor: Er sandte mir die gewünschte Wolke. Und noch ganz, ganz viele andere gratis mit dazu. Und überhaupt gleich ein ganzes Gewitter inklusive wolkenbruchartige Regenfälle, Blitz, Donner und Sturm.

Und wann tat er das?

Heute. Am Tag der totalen Sonnenfinsternis.

So ward es dunkel, nach fünf Minuten wieder hell - und ich sowie die Millionen anderen Finsternisbeobachter (die teilweise noch viel ärmer sind, weil extra nach China gereist) sahen von der Sonne original gar nichts. Dafür sehr viel Regen.

Aber ab morgen ist sie ja eh wieder zurück, die Sonne. Inklusive Hitze.

Amen.

Montag, 13. Juli 2009

Shanghai brät

... doch ich lass mich nicht braten. Hier hat's laut Wetterbericht 36°, aber anfühlen tut sich's dank der Schwüle (ebenfalls laut Wetterbericht) wie 43°.

Was sagt uns das?

Nun - wer mich kennt, weiß: Kaum erhebt sich des Thermometers Quecksilber zögerlich-sanft über die 20°-Grad-Grenze, verwandle ich mich spontan in eine beeindruckende Springbrunnen-Persiflage und kenne kaum noch andere Gesprächsthemen als die UNÄRTRÄÄÄÄÄGLICHÄÄÄÄ HITZÄÄÄÄÄÄ.

Na, könnts Euch vorstellen, wie's mir hier zurzeit geht.

Was also tun?

Ganz einfach: Ich trof vorgestern in einem Restaurant zwei Studenten aus Guizhou. Das ist eine Provinz, die nicht besucht zu haben mir ohnehin schon seit längerem sehr Leid tat. (Dieses gschissene Land ist einfach zu groß.) Und dann besitzen die zwei auch noch die Unverfrorenheit, mich nicht früher kennengelernt und mir erzählt zu haben, dass Guizhou auf einem Hochplateau liegt und daher sehr angenehme Sommer ihr (sein?) Eigen nennt!

Wir haben dann noch sehr nett dahingeplaudert, und wie üblich musste ich fest versprechen, falls es mich mal nach Guizhou zieht, mich unbedingt zu melden. Dann bin ich rausgegangen aus dem klimatisierten Raum. Und als mich da draußen wieder einmal die Hitzekeule mit einem fröhlichen Frontalschlag ins Gesicht begrüßte, war ich nur mehr eines benommenen Gedanken fähig: "Ich muss weg!"

Woraufhin ich gleich ein Ticket nach Guizhou gebucht habe, wo ich demgemäß morgen hinfliegen werde. Ist eine hochinteressante Gegend mit atemberaubender Landschaft, unzähligen Dörfern ethnischer Minderheiten - und angeblich vom Tourismus noch so gut wie unberührt.

Ich bleibe dort nur vier Tage, werde aber zweifelsohne wieder einmal einen Weg finden, alles, was ich nicht kaputt mache, auf andere Weise kreativ falsch anzupacken - und falls dem tatsächlich so ist, werde ich danach darüber berichten. Falls nicht, dann nicht.

Kaum war das Ticket gebucht habe ich jedenfalls festgestellt, dass es dort unten gerade ungewöhnlicherweise mit jedem Tag heißer wird und außerdem ein Taifun in der Gegend herumbläst.

Ideale Voraussetzungen für einen gelungenen Urlaub also - man darf gespannt sein.

Montag, 6. Juli 2009

öhm ...

... ja, ich weiß, was ich so salbungsvoll verabschiedungstechnisch schrob - und ich weiß auch, ich bin inkonsequent. Aber das schöne an meiner Inkonsequenz ist doch, dass ich sie so rigoros durchziehe.

Also:

"McGyver ist blöd" oder "Mini-Manderln in Xuzhou"

Diese zwei Ereignisse der letzten zwei Tage bewegen mich dazu, doch noch einen Blog-Eintrag nachzuschießen. Denn wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Und wenn dieser eine dann auch noch ich bin, dann wird umso mehr erlebt. Nicht unbedingt Grandioses, dafür aber garantiert Dämliches.

Und das kam so:

Ich habe ja meine große Nordreise aus nostalgischen Gründen stark verkürzt und werde jetzt anstatt zur nordkoreanischen und sibirischen Grenze vorzudringen mich mit den südlicheren Provinzen Jiangsu und Shandong begnügen, und zwar weil ich diese in einer Woche recht bequem bereisen und sodann meinen Chinaaufenthalt noch mit einem würdigen, dreiwöchigen "Urlaub" in Shanghai beenden kann.

Als erstes Ziel erwählte ich Xuzhou. Dieses kleine Städtchen im äußersten Nordwesten von Jiangsu, 700 Kilometer entfernt von Shanghai, ist wieder einmal in keinem Reiseführer verzeichnet, und es scheint, als wäre auch noch nie jemand hingereist. Deswegen, und weil es ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf meiner Fahrt nach Shandong ist, beschloss ich, dorten zwei Tage zu verweilen.

Es ging diesmal nicht alles ganz so glatt wie gewohnt, aber ich werde Euch hier nicht mit "Was-habe-ich-doch-für-ein-Pech"-Geschichten von ausverkauften Tickets, endlosen Anstellzeiten oder unfassbar heißem Wetter langweilen.

Nein, das kann ich besser.

So kam ich also gestern um 20 Uhr in Xuzhou an, einer auf den ersten Blick sympathischen, extrem lebendigen kleinen Stadt. Da ich von der fünfstündigen Zugfahrt und einer zweistündigen Unterhaltung mit einem kleinen chinesischen Buben (Hauptthema: "Transformers 2" - auf chinesisch, wie ich lernte: 变形金钢) ausgesprochen müde war, fiel ich gleich ins erste Hotel in Bahnhofsnähe. Dieses hatte durchaus eine gewisse Patina, war dafür aber auch recht günstig.

Was gibt es schöneres, als nach einer langen Reise bei unglaublich schwüler Hitze eine lange Dusche zu nehmen?

Und was gibt es spannenderes, als danach festzustellen, dass die Schnalle der Badezimmertüre abgebrochen ist und die Türe sich folglich nicht mehr öffnen lässt? Dabei sperre ich prinzipiell nicht zu ... muss aber zugeben, dass ich auch nicht jede Türe vor dem normalen Zumachen auf Funktionsfähigkeit überprüfe.

So stand ich dann also in diesem 3-Quadratmeter-Zimmerchen bei 40° Innentemperatur und konnte während der zwei Stunden des Eingesperrtseins dem Sauerstoff beim Verschwinden zuriechen. Natürlich war ich nicht untätig: Zunächst mit bloßen Händen und Füßen, dann mit allem, was mir zur Verfügung stand (Zahnbürste, Plastikkamm, Seife) versuchte ich, die Türe aufzubrechen - erfolglos. Mir ist klar, dass McGyver aus diesem Zubehör mindestens einen Kurzwellensender oder einen Bulldozer konstruiert hätte. Alles, was ich mit der Zahnbürste zusammenbrachte, war hingegen, mir meine Zähne zu putzen. (Auch sehr wichtig. Man sollte Karies nicht unterschätzen.)

Schweißüberströmt und splitternackt begann ich also den demütigenden Akt des mit-beiden-Händen-gegen-die-Türe-Pumperns, und gleichzeitig um Hilfe zu rufen. Weniger, weil ich wirklich von Panik erfüllt war, sondern eher, weil ich nicht 15 Stunden in diesem fensterlosen, stickig-heißen, winzigen Raum verbringen wollte, bis mich eine eventuelle Putzfrau des Morgens vielleicht fände.

Es ist einem mittleren Wunder zu verdanken (oder meiner kräftigen Stimme), dass mich in dem isolierten Extragebäude, in dem ich einquartiert bin, überhaupt jemand hörte. Doch dem war so. Aus dem Badezimmer heraus erklärte ich der Hotelangestellten schreiend das Problem, woraufhin sie den eine bunte Schar an Mechanikern zusammentrommelte. Spannend ist an dieser Stelle, dass man hier in Xuzhou offenbar einen ganz interessanten Dialekt verwendet, der eine Mischung aus südlichen und nördlichen Charakteristiken aufweist, jedenfalls aber ausgesprochen unverständlich sein kann. Und Inhalte wie "Jetzt schräg rechts nach oben ziehen und gleichzeitig rütteln" verstehe ich offenbar schon gar nicht.

Trotzdem schaffte es das Handwerkergrüppchen nach einiger Zeit, die gesamte Schnalle samt Schloss von außen auszubauen und die Türe zu öffnen.

Da stand ich nun in paradiesischer Nacktheit und durfte mir typisch chinesische Scherze über meine Körperbehaarung anhören und darüber, wie lustig das ganze doch wäre.

Zugegeben ... nach einer Sekunde Erleichterung und einer weiteren Sekunde Ärger musste ich dann mitlachen. Wer bin ich denn, dass ich solch vollkommene Situationskomik nicht würdigen dürfte?

Den Rest des Abends wollte ich mit einem entspannenden Spaziergang verbringen, was von sintflutartigen Regenfällen verhindert wurde, die justament begannen, als ich aus der Türe trat. Zusätzlich vergaß ich noch meinen Schlüssel im Zimmer sowie das Aufladen meines Fotoapparates. Außerdem lag das diesmal wohlmitgebrachte Schweißtuch sicher im Zimmer und ermöglichte mir so, die chinesische Allgemeinheit durch exzessives Schwitzen zu erheitern. (38° bei 120% Luftfeuchtigkeit sind das schlimmste Wetter, das ich mir vorstellen kann.) Aber das war peripher - die Freiheit hatte mich wieder, und ich konnte immerhin sogar ein Zugticket nach Yanzhou erstehen. In dieses Städtchen der Provinz Shandong möchte ich nämlich morgen fahren, um den dort ganz in der Nähe liegenden Geburtsort Konfuzius' zu besuchen, bevor es weitergeht in die Hauptstadt Jinan, wo ich wiederum zwei österreichische Freundinnen treffen werde.

Und heute? Ja ... heute fand ich heraus, dass Xuzhou vor 2.000 Jahren die Hauptstadt der mächtigen Han-Dynastie war, und dementsprechend die größte und wichtigste archäologische Anlage aus dieser Zeit in ganz China beherbergt. Zusätzlich übrigens noch eine Terracotta-Armee aus tausenden Figuren - ähnlich derer in Xi'an, nur dass die Soldaten viel kleiner (und herziger) sind. Weil das aber niemand weiß - und es Reiseführer wie Lonely Planet auch nicht einmal einer Erwähnung wert finden - war ich bei der heutigen Besichtigung dort praktisch alleine. Besonders das gigantische unterirdische Mausoleum des ersten Han-Kaisers gehört zum Großartigsten, was ich bisher in China gesehen habe. Die Abwesenheit anderer Touristen und jeglicher Keiler machte dieses Erlebnis umso beeindruckender - und bestätigte mir einmal mehr, dass für mich das Fahren ins Unbekannte dem Abklappern berühmter Sehenswürdigkeiten hundertmal vorzuziehen ist.

Ich liebe China. Nur seine Badezimmer mag ich jetzt nicht mehr so gerne.

Freitag, 26. Juni 2009

Abschied von einem Leben

Meine lieben Bekannten und Unbekannten da draußen,
hier geht's mittlerweile rund: Mein Auszug aus dem Studentenheim am 2. Juli wird vorbereitet - Dinge verschenkt, verkauft, verschrottet, verpackt - meine kleine Abschlussreise gen Norden, gemeinsam mit der gerade aus Korea zurückgekehrten Linan, wird organisiert, für die große Abschlussprüfung wird gelernt und dazu noch viele Abschiede von Klassenkameraden und Freunden gefeiert - mit ziemlicher Sicherheit endgültige Abschiede.

Angesichts dessen ist es für mich nur logisch, dass auch das Blog hier endet. Das hat praktische Gründe - wie beispielsweise verminderten Netzzugang und unglaubliches Beschäftigt-Sein - aber auch dramaturgische (es würde bis zur endgültigen Abreise nur noch so dahintranen) und psychologische (ich verspüre kein großes Bedürfnis, mich über Rückreise-Vorbereitungen auszulassen).

Ich habe darüber nachgedacht, wie dieses letzte Posting aussehen könnte, wie ich es kreativ und/oder witzig gestalten, mit einer grandiosen Schlussfanfare aus diesem Blog-Leben scheiden könnte. Mein Resümé: Wir machen das weder kreativ noch witzig. Dieses Blog ist wie mein Leben hier: Die Höhepunkte sind verstreut, kontinuerlich, die Klimax unberechenbar. Daher ist dieses Posting nur ein einfacher Abschied.

Einerseits von meinem Leben als Student in China: Mit Sicherheit die faszinierendste, wahrscheinlich sogar die schönste Zeit meines Lebens, in der ich unglaublich viel gelernt habe - über China, über Europa, über Menschen, über Kultur, über das Reisen - und unvermeidlich auch über mich selbst. (An dieser Stelle sich jetzt bitte eine kurze, ebenso witzige wie geistreiche Zusammenfassung all der großartigen Unternehmungen und schrägen Erlebnisse des letzten Jahres vorzustellen. Würde total gut passen, wäre irgendwie ergreifend - ist aber leider fürchterlich nervig zu schreiben. Außerdem bin ich hungrig.)

Andererseits verabschiede ich mich von diesem Blog, das ein wunderbares Hobby war und gleichzeitig Dokumentation wesentlicher Eckpunkte meines Aufenthalts in China (sowie eines Tags in Uruguay), und das mich überraschenderweise sogar dazu motiviert hat, auch Dinge zu tun, die ich sonst nicht getan hätte, um danach Neues berichten zu können.

Schließlich ist es auch ein Abschied von Euch da draußen. Naja ... nicht wirklich, wie ich hoffe, aber zumindest ein Abschied von Euch als LeserInnen. Es hat mich ehrlich gefreut - und noch mehr überrascht - wie viele Menschen dieses in Wahrheit recht unraffiniert hingefetzte, völlig subjektive und oft genug auch wenig informative Geschreibsel gelesen haben - und auf welch positive, witzige und inspirierende Weise kommentiert wurde. Das hat mir auch das Gefühl gegeben, die wichtigste Erfahrung meines Lebens aktiv mit meinen Freunden - alt und neu - teilen zu können.

Taten sagen ja bekanntlich deutlich mehr als Worte. Durch Eure aktive Teilnahme an diesem meinem Blog, habt ihr sehr viel gesagt (ob's wollts oder net). Dafür - und das ist der Hauptgrund für dieses salbungsvolle Abschiedsposting - danke ich Euch von Herzen.

Liebe Grüße aus Shanghai, machts es gut, passts auf Euch auf, schauts links und rechts bevors über die Straße gehts - und auf Wiedersehen ... ich bleib noch ein Monat ];).

Clemi

Sonntag, 21. Juni 2009

Drei Herren und die Kultur

Wenn eine statistisch relevante Teilmenge der Herrenrunde nach längerer Zeit des Nicht-Sehens in einem fernen Land aufeinander trifft, dann sind höchste interkulturelle Sensibilität, Offenheit für Unbekanntes und grenzenlose Begeisterung für die feineren Dinge des Lebens eine Selbstverständlichkeit. Als die Herren Schausberger und Kurzawa gestern nach einer Woche China-Aufenthalt wieder abreisten, hinterließen sie ein Land, das einfach ein kleines bisschen besser, reicher und schöner war als zuvor. Denn in einzigartiger Weise wussten wir das Positivste aus West und Ost harmonisch zu verbinden.

Schon am Ankunftstag tauchten wir so richtig ein in die chinesische Kultur: 8.30 Uhr morgens am Flughafen - Herr Schausberger, der als erster aus London angereist war, verspeist mit mir im Burgerking einen Whopper, während wir auf die Ankunft der Maschine Herrn Kurzawas aus Moskau warten. Auch das Frühstücksbier im benachbarten Irish Pub mundet vorzüglich - ja, so gut gar, dass wir besagten Herrn Kurzawa leider ein bisschen vergessen. Erst ein wohlmeinender Anruf seinerseits nach erfolgter Ankunft ("Heast, wo seids'n es bitte?!?!") holt uns zurück in die Ankunftshalle, und so können wir - etwas verspätet - mit einem kleinen Tränchen im Auge auch das älteste Mitglied der Herrenrunde in die Arme schließen.

Entsprechend asiatisch geht es in den folgenden Tagen weiter: Sei es ein Wurschtsalat im "Paulaner Bräu", eine Ciabatta im "Café Italia" oder Capuccino im Starbucks - die zwei Herren fürchten keines der kulinarischen Abenteuer dieses Landes!

Doch nicht nur Chinas Küche wird von der Herrenrunde ausgiebig erforscht, nein, auch die Kultur kommt nicht zu kurz: Ob Babyface, G+, Soho, De la Coast oder Windows - kaum ein Nightclub wird ausgelassen, kaum eine Bar von uns verschont.

Angesichts eines so dichten nächtlichen Besichtigungsprogramms könnte der Verdacht sich regen, wir wären des Tags leiser getreten. Weit gefehlt! Mit eiserner Disziplin erheben wir uns täglich frühmorgens um 14 Uhr aus unseren Betten, um erbarmungslosem Sightseeing zu frönen: Der Clothes Market wird aufgesucht (9 Maßhemden, 2 Maßanzüge), Straßenhändlern unser Vertrauen geschenkt (eine echte Rolex um 10 Euro), ausgesuchte Qualitätstechnologie erworben (ein iPhone um 60 Euro) sowie Chinas bekannte Markenware empirisch getestet (4 Paar Nike-Socken um 50 Cent).

Wer würde uns da zu früher Abendstunde ein wenig Entspannung missgönnen? Also lernt die Herrenrunde die Freuden chinesischer Massage kennen (O-Ton Schausberger: "Ab heute lasse ich mich nur noch mit 'Majestät' ansprechen!"), ebenso wie den Full-Service der hiesigen Friseure (Kopf-, Rücken- und Armmassage, Haarwäsche, schneiden und legen bei einem Top-Figaro um 4 Euro) und das gemütliche Nachmittagsschläfchen im Park.

Ich glaube, erstmalig in der Geschichte der Langstreckenflüge haben nicht die Besucher, sondern der Gastgeber einen Jetlag zu verdauen.

Burschen: Schön, dass da warts!