Samstag, 11. April 2009

Go West - VIII: Koko Nor ... am Ziel

Mein Traum, einmal quer durch China zu reisen, reicht - soweit ich mich erinnern kann - etwa 20 Jahre zurueck. Und seit ich vor etwa fuenf Jahren das Buch "Red Dust" von Ma Jian gelesen habe, steht auch das ultimative Ziel fest: Dieser Mann beschreibt seine dreijaehrige Reise durch ganz China. Das Kapitel, in dem er den Koko Nor erreicht, sich in der Wildnis an dessen Ufern verirrt und von Nomaden gerade noch vor dem Verdursten gerettet wird, hat mich enorm beeindruckt. Wie er diesen See und die ihn umgebende Landschaft beschreibt - das hat mich nicht mehr losgelassen.

Nun bin ich ja so einer, der stundenlang vor Welt- und Landkarten sitzen kann. Mit dem Finger reise ich durch die entlegensten Regionen und frage mich, wie es dort aussehen koennte. (Und bevor wer fragt: Nein, Trainspotting gehoert nicht zu meinen Hobbies.) Seit es Google Earth gibt, ist dieses Spiel natuerlich noch lustiger geworden. Doch nicht nur sieht aus der Luft sowieso alles anders aus, den Satelliten fuer sich reisen zu lassen ist einfach nicht dasselbe.

Seitdem hat es meinen Finger - mit meinen Augen im Schlepptau - immer wieder und wieder in jene entlegene Ecke Chinas gefuehrt, wo dieser Salzsee von der Groesse Ostoesterreichs liegt. Ich wollte dort unbedingt einmal hin. Gleichzeitig wusste ich: Jemand, den selbst die Sommerfrische im Waldviertel organisatorisch an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringt, wird das wohl niemals schaffen. Selbst die Chinesen wissen oft nicht, wo die Provinz Qinghai liegt - geschweige denn deren See.

Wie ich das Reisen "geuebt" habe, wie ich mich langsam immer weiter vorgetastet habe, um die nervlichen Voraussetzungen zu erwerben, die fuer das Erreichen dieses meines Zieles notwendig waren, das (unter anderem) dokumentiert dieses Blog.

Und heute war es soweit.

Suboptimale Voraussetzungen
Natuerlich waere es nicht ich, wenn nicht zunaechst einmal etwas schiefgehen wuerde. Um 7 Uhr morgens stehe ich - zaehndputzt und kampelt - vor meinem Hotel und warte auf den Bus.

Um 8 Uhr stehe ich immer noch da, als vielbewunderter Mittelpunkt des lebendigen Treibens auf der Strasse, und bin schon mal praeventiv extrem enttaeuscht, dass ich offenbar mein grosses Ziel doch nicht erreichen werde. Immerhin hatte ich bei der Buchung dran gedacht, mir die Visitenkarte der Angestellten geben zu lassen. Ich erklaere einer Hotelbediensteten, dass mein Chinesisch am Telefon sogar noch schlechter sei als live und bitte sie daher, fuer mich anzurufen und nachzufragen.

Es stellt sich heraus: Der Busfahrer hat mich nicht boswillig vergessen, sondern lediglich Verspaetung, da noch 13 andere Tourmitglieder in der ganzen Stadt eingesammelt werden muessen. Waehrend ich warte, laedt man mich hotelseitig netterweise auf ein Fruehstueck ein.

Als ich gerade mitten im schoensten Essen bin, faehrt ein winziger Bus mit ausschliesslich chinesischen Insassen vor, von denen ich beim Einsteigen ausgiebig bestaunt werde.

Irgendein Palast
Wir fahren los, und die nette junge Reisefuehrerin erklaert Interessantes ueber Qinghai, Xining und die vielen Minderheiten, die hier leben. Ich bin sehr erstaunt, wieviel ich davon verstehe. Sogar bei den Ratespielen - einer typisch chinesischen Form der Fremdenfuehrung - kann ich teilweise mitmachen, auch wenn die Chinesen frustrierenderweise mehr ueber ihr Land wissen als ich und die Sprache deutlich besser beherrschen.

Die Strassenschilder auf der Fahrt sind - wo vorhanden - uebrigens stets zweisprachig: tibetisch und chinesisch. In gewissen, ach so entwickelten Laendern mit ueberlegener Minderheitenpolitik soll es Bundeslaender geben, die nicht einmal das schaffen.

Erst als wir an einer offensichtlich zu hundert Prozent See-freien Stelle anhalten, wird mir bewusst, dass es auf der Fahrt anscheinend mehrere Stopps gibt. In einem ueberraschend modernen Oertchen ragt vor mir ein tibetischer Palast auf, und wir nehmen an einer Fuehrung teil. Da ich von dieser so gut wie gar nichts verstehe, nehme ich mir vor, nach meiner Rueckkehr erstmal zu recherchieren, was ich da eigentlich sehe. Drinnen gibt es jedenfalls riesengrosse, bunte Statuen von den Gruendern und wichtigen Meistern der einzelnen buddhistischen Sekten.

Weiterfahrt zur offiziellen Jade
Die Strasse fuehrt auf der gesamten Strecke stetig bergauf - wir bewegen uns nun durch immer ueberirdischere Landschaften ganz hinauf auf das Tibet-Qinghai-Hochplateau, an dessen Rand Xining liegt. Bald gibt es gar keine richtigen Siedlungen mehr, sondern nur noch verstreute, einsame Lehmhuetten der hier fast ausschliesslich tibetischen Bevoelkerung sowie vereinzelte Zelte der Nomaden.

Mitten im schoensten Nichts halten wir ploetzlich bei einer Art Halle, wo man uns statt der von mir schon befuerchteten Heizdecken die beruehmte Qinghai-Jade verkaufen moechte. Ich finde das so schraeg, dass ich ein Armband erstehe. Irgendein Andenken an Qinghai brauche ich schliesslich - und es ist immerhin die offizielle Jade der Olympischen Spiele, wenn ich die Leutchen dort recht verstehe. (Weiss jemand, wofuer man offizielle Jade verwendet?) Als Dank fuer den Kauf haengt man mir eine Art gelben Schal um. Warum auch immer. Kalt genug waere es ja.

Sonne, Mond und Kopfweh
Dann geht es hinauf auf den Ri Yue Shan - den Sonnen-und-Mond-Berg. Ich wusste gar nicht, dass uns unsere Tour bis auf knapp 3.600 Meter Seehoehe fuehren wuerde - immerhin fast so hoch wie der Gipfel des Grossglockners. Ja, was fuer lustige Ueberraschungen man erleben kann, wenn man bei der Buchung einer Reise nur maximal 50% versteht.

Die Aussicht auf die endlose, braune Hochebene, schneebedeckte Bergketten, und bizarre, rundliche Huegelformationen, die unglaubliche Weite und Einsamkeit - abgesehen von vereinzelten Stupas und Gebetsfahnen - sowie der ueberall grasenden Yaks und Schafe, ist atemberaubend. Die Hoehe uebrigens auch - im Schneckentempo keuchen wir einige Stufen zu einem Aussichtspunkt hinauf; Schwindel und Kopfweh sagen mir, dass in dieser Hoehe offenbar bereits leichte Symptome von Hoehenkrankheit moeglich sind. Doch weder das noch die wirklich anhaenglichen tibetischen Verkaeufer von Jadeamuletten und Mini-Gebetsmuehlen koennen die unglaublichen Eindruecke verderben, die diese Landschaft vermittelt.

Wir fahren wieder "hinunter" auf 3.000 Meter - in dieser Hoehe liegt das endlose Hochplateau des Koko Nor. Ploetzlich taucht ein niedliches Staedtchen vor uns auf - wiederum vertraue ich meinem chinesischen Hoerverstaendnis nur bedingt, aber ich glaube, es handelt sich um die erste solche Siedlung, die auf der Hochebene errichtet wurde. Dort verkosten wir getrocknetes Yakfleisch und Buttertee - beides uebrigens ausgezeichnet. Ich beschraenke mich beim Einkauf allerdings auf ein Paeckchen gebratener Gerste - ein Hauptnahrungsmittel der lokalen Bevoelkerung. Sie (die Gerste, nicht die Bevoelkerung) schmeckt mir so gut, dass ich jetzt die Mutter aller Kiefermuskelkater mein eigen nenne.

Am Ziel
Lange Zeit hatte ich vor der Fahrt ueber der Karte von Qinghai gebruetet und eruiert, dass die einzige Strasse der Gegend an der Nordseite des Sees entlang fuehrt. Der See liegt also suedlich. Man muss nun wissen, dass der Koko Nor auch gleichzeitig der westlichste Punkt meiner Reise ist - noch einmal 150 Kilometer westlich von Xining - somit wuerde bei unserer Fahrt im Bus die linke Fensterseite den Ausblick auf den See gewaehrleisten, weshalb ich mich in weiser Voraussicht an ebendiese platziert hatte.

Gut vorausgedacht. Nur zwei Probleme gibt es damit. Das erste ist, dass Chinesen, sobald sich unter ihnen etwas anderes als Kakerlaken bewegt, sofort in Tiefschlaf fallen. An meiner suedlichen Fensterseite lacht die Sonne ins Innere des Busses. Und ausgerechnet der vor mir sitzende Gentleman aus Chengdu, Sichuan, ist ein wenig lichtempfindlich, und - RATSCH - wird der Vorhang vorgezogen, der auch meinen Fensteranteil bedeckt. Gut, nicht so schlimm, linse ich eben durch den leicht angehobenen Vorhang auf die Landschaft, die offenbar als nicht inkludiertes Reiseziel fuer meine lieben Mittouristen uninteressant ist.

Und dann taucht vor mir der See auf.

Ich weiss nicht, wer ueber Nacht entweder die Strasse oder den See verlegt hat, aber aus irgendeinem Grund liegt er noerdlich von uns - und ich sitze auf der falschen Seite.

Das aendert nichts daran, dass dies fuer mich ein wirklich beruehrender Augenblick ist. Das Ziel meiner Traeume ploetzlich so real vor mir zu sehen, ist ein Wahnsinnsgefuehl!

Fuer die anderen mag das Trockenfleisch aus dem Plastiksackerl mehr Aufmerksamkeit verdienen - ich hingegen klebe quer ueber Sitzbank und Mittelgang am gegenueberliegenden Fenster und erreiche, stetig knipsend, locker Foto Nummer 600 dieser Reise. (Ich freu mich schon auf die Auswahlprozedur ]:P ... die Fruechte dieser meiner noch vor mir liegenden Augias-Arbeit werdet ihr dann uebrigens hoffentlich noch kommende Woche bewundern koennen.)

Auf der Strasse beobachte ich vereinzelte, tibetische Pilger, die zu Fuss - und sich Mannslaenge fuer Mannslaenge hinwerfend - den Weg bis Lhasa zuruecklegen, hinter ihnen ziehen ihre Familienangehoerigen kleine Waegen voll Hab und Gut.

Der See oeffnet sich nun in seiner gesamten Groesse, und da man die gegenueberliegenden Ufer trotz kristallklarer Hoehenluft nicht sehen kann, wirkt er wie ein Meer.

In einem der wenigen kleinen Oertchen direkt am See halten wir, um gemeinsam Mittag zu essen. Danach spazieren wir zum Ufer. Ich plaudere mit einem Reisekollegen aus Nanjing, der in Shanghai arbeitet. Nach dem obligaten Visitkartenaustausch unterstuetzt er mich bei meinem hysterischen Versuch, diesen Moment des Erreichens festzuhalten: Clemens winkend am Strand, Clemens grinsend vor einer Statue, Clemens laessig auf einem Stein, Clemens lustvoll im Wasser pritschelnd, Clemens das Wasser kostend und den Salzgehalt eruierend, ...

Extrem peinlich.

Aber ich habe das Beduerfnis, moeglichst viele handfeste Andenken an die Erfuellung meines Traumes mitzunehmen. Da das zunaechst angedachte Austrinken des Sees zwecks vollstaendiger Mitnahme an mangelndem Durst scheitert, fische ich stattdessen einen Stein direkt aus dem eisigen Wasser.

Ein Bummerl in der Wueste
Auf der Rueckfahrt erlebe ich noch eine Ueberraschung: Mir war nicht bewusst, dass der See auch an eine Hochwueste grenzt ... richtig mit Sand, Duenen, Kamelen und allem Drum und Dran. So verschiesse ich endgueltig die letzten Stromreste der Batterie meines Fotoapparates, bevor wir die zweistuendige Fahrt zurueck nach Xining antreten: totmuede, aber gluecklich.

Als meine, mir mittlerweile ans Herz gewachsenen, Mittouristen meinen, sie muessten mittels Bordmikrophon Lieder zum besten geben, um sich die Zeit zu vertreiben, schwant mir Uebles.

Und so zieht draussen die einsame, endlose Wildnis des Hochlandes friedlich vorueber, waehrend im Inneren des Busses der "auslaendische Freund" wieder einmal "Ana hot imma des Bummerl" in Stadionlautstaerke zum besten geben muss, begleitet vom frenetischen Jubel von Menschen aus allen Teilen Chinas, die zum Glueck keine Ahnung haben, wie das Lied eigentlich klingen sollte.

5 Kommentare:

_mathilda_ hat gesagt…

Danke für die erheiternden Momente. Nach mehrmaligem schallenden Gelächter "musste" ich eine Kollegin mitlesen lassen, die sich ebenso köstlich amüsiert hat.

Und: Hut ab vor den Entwicklungsschritten, die du erfolgreich durchlebt hast.

rudolfottokar hat gesagt…

hmmm...irgendwie bin ich gerührt...
und sehr glücklich für dich.
busserl...

ClemmieInChina hat gesagt…

danke euch beiden ... fuer diese zwar recht unterschiedlichen aber ausgsprochen netten urteile ]=).

shepel.

Etosha hat gesagt…

*verneig* Normalerweise darf ich das ja ausschließlich zu meinem Mann sagen, aber:
Du bist der Größte! :)

ClemmieInChina hat gesagt…

es sei dir verziehen. zumindest von mir *ggg*

bin wieder in shanghai, hurra! hier ist schon alles ganz gruen ]:).