Freitag, 3. April 2009

Go West - V: Xi'an, der Anfang der Seidenstrasse

Nachdem ich gestern wie geplant die unglaublich beeindruckenden Longmen-Grotten besucht habe (ueber 100.000 zumeist 1.500 Jahre alte buddhistische Bildnisse und ganze Tempel direkt in die Felskliffs entlang des Yi-Flusses gehauen) und danach noch das einzige Grabmalmuseum Chinas (originale, begehbare Grabhuegel von 200 v. Chr. bis 1000 n. Chr.), ging es heute frueh in die naechste Provinz.

Die Wiege der Zivilisation
Xi'an ist die Hauptstadt von Shaanxi, jener Provinz, die oft als "Wiege der chinesischen Zivilisation" bezeichnet wird. Sie war Hauptstadt der meisten chinesischen Dynastien, zaehlt neben der Grossen Mauer und der Verbotenen Stadt zu den groessten Sehenwuerdigkeiten Chinas und bildet den Anfangspunkt der Seidenstrasse.

Das haelt diesen Ort aber durchaus nicht davon ab, ein Alptraum zu sein.

Zumindest schien es mir gerade jetzt bei meiner Ankunft so. Ich bin ja nach sieben Monaten China schon einiges gewoehnt, aber derartige Menschenmassen und ein solcher Moloch sind mir noch nicht einmal in Shanghai untergekommen.

Gemuetlich durch die Provinz ...
Dabei war die Anreise so friedlich - gemuetlich duempelt mein Zug fuenf Stunden lang die knapp 400 Kilometer von Luoyang Richtung Westen nach Xi'an. Langsam gehen dabei die niedrigen Lehmhuegel im aeussersten Westen Henans ueber in schroffe Berge, wobei die Siedlungen wilde Mischungen zwischen Wohnhoehlen, Lehmhuetten, normalen Haeusern und den kreativsten Hybridbehausungen darstellen. Gesetzt den Fall, meine Kamera ueberlebt wider Erwarten den Trip, freue ich mich ja schon darauf, die Fotos online stellen zu koennen, denn diese Wohnhoehlen und die grossenteils zu Stufen gehackten Loesshuegel sind ein hochinteressanter Anblick. Derweil muessts mir halt einfach glauben.

In der Provinz Shaanxi schliesslich wird es immer trockener. Die Sonne scheint, es hat 23 Grad, der Boden wird immer staubiger, und die Landschaft wechselt zwischen Gebirgen und mit Muehe landwirtschaftlich oder bergbautechnisch genutztem Grund.

... und dann rein in die Scheisse
Aber dann der Bahnhof. Auch der nette junge Taxifahrer, dem ich meine Wenigkeit schliesslich anvertraue, nach einem Geschiebe und Gedraenge wie vor dem einzigen Klo eines Benefiz-Konzerts fuer Inkontinente, formuliert jenen Satz, den man von jedem Chinesen frueher oder spaeter zu hoeren bekommt: "Zu viele Menschen!" Die Untertreibung des Jahres, die er recht treffend auf den Punkt bringt: "In Europa isst ein Mensch zwei Hamburger. In China essen zwei Menschen einen Hamburger."

Waehrend wir dem Wahnsinn des Bahnhofs per Auto entfliehen, stelle ich aber mit grosser Freude fest, dass wie bei jeder Reise mein Chinesisch wieder einen grossen Sprung nach vorne (<= historische Anspielung, weil Autor sehr intelligent und gebildet) gemacht hat. Der Small-Talk funktioniert jetzt schon fast problemlos. Ich kapiere selbst nicht ganz, warum, aber irgendwie plaudern wir sehr froehlich vor uns hin. Er hilft mir dann auch noch dabei, ein sowohl guenstiges als auch schoenes Hotel in ebenso zentraler wie ruhiger (!) Lage zu finden. Und da er schon mal dabei ist und wir uns so gut verstehen, handelt er auch gleich fuer mich den Preis auf die Haelfte runter. Da lasse ich mir auch gerne gefallen, dass ich hier zum ersten Mal nicht auf Anhieb eine Unterkunft finde, da die erste Empfehlung des Taxifahrers belegt war.

Und weil's so schoen war ...
Nachdem das geschafft ist, kehre ich noch einmal zum Bahnhof zurueck. Denn irgendwie beunruhigt mich die spezielle Auspraegung der chinesischen Ueberbevoelkerung in Gestalt endloser Schlangen vor den Ticketschaltern, schliesslich habe ich noch zwei Etappen vor mir.

In der Tickethalle gibt es 30 Schalter, vor deren jedem etwa 50 Menschen angestellt stehen. Ich reihe mich ohne numerologisch rechtfertigbaren Grund als Einundfuenfzigster vor Schalter 12 ein, und bekomme nach einer Stunde Wartezeit vom Verkaufspersonal mitgeteilt, dass man hier nur Tickets bis drei Tage vor dem Abfahrtstermin bekomme. Ich habe mich aber gerade spontan entschlossen, wegen der Fuelle an Sehenswuerdigkeiten vier Tage zu bleiben.

Also stelle ich mich eben nochmals eine Stunde an, diesmal an Schalter 3, wo man Tickets bis zehn Tage vorher bekommt. Warum das so ist? Das wissen die Chinesen selbst nicht.

Ich schaffe es schliesslich, ein Ticket nach Lanzhou zu erstehen - und finde in Folge sogar noch die Station des Linienbusses zu der weltberuehmten Terrakotta-Armee, 30 Kilometer ausserhalb von Xi'an. Denn wie ueblich habe ich mich entschlossen, diese morgen nicht im Rahmen einer gefuehrten Tour zu besichtigen, sondern als Individualreisender im Linienverkehr. (Wobei wir alle natuerlich wissen, was das heisst: Ich werde wieder einmal keine Ahnung haben, wie ich zurueckkomme.)

Die etwa 150 Meter lange Menschenschlange vor der Busstation laesst eine recht dynamische Reise erwarten. Ich bin gespannt, ob ich es morgen ueberhaupt bis dorthin schaffe; und wenn, ob die Armee (Terrakotta) nicht von der Armee (Touristen) komplett verdeckt wird.

Jetzt weiss ich wieder, warum ich so gerne die wirklich grossen Sehenswuerdigkeiten vermeide.

4 Kommentare:

_mathilda_ hat gesagt…

*prust* Zitat: "Gedraenge wie vor dem einzigen Klo eines Benefiz-Konzerts fuer Inkontinente" - Und ja, ich gestehe, dass das Amüsement partiell von der Annahme herrührt, hier einen Kontinent als Nutznießer des Konzerts eingesetzt zu sehen. Ansonsten: Wie immer zwerchfellerschütternd. Ich frag mich schon, wer für mein Lachkontingent sorgt, wenn du China verlassen hast...

Etosha hat gesagt…

Super, dass es schon so gut geht, das Plaudern! :) Freu mich für dich! Viel Spaß beim Sightseeing!

rudolfottokar hat gesagt…

jaja, tu nur fleißg tippseln, wir tun ja auch fleißg lesen. übrigens - ein dicker ordner is scho voll mit den ausdrucken ;-)

rudolfottokar hat gesagt…

"etrolon" meint, fleißg schreibt man mit i...