Samstag, 29. November 2008

Thanksgiving mit Stäbchen

"Thanksgiving", das amerikanische Erntedank-Fest, ist eine große Sache in den USA und wird traditionell am vierten Donnerstag im November zelebriert. Ein Faktum, das mir, erstens, bislang unbekannt war, was mich allerdings, zweitens, auch nicht daran gehindert hat, ein erfülltes Leben zu führen. Außerdem sind wir ja in China, weshalb also soll uns diese Information jucken?
Nun ... es ist ja so, dass in meiner Sprachklasse eine relativ starke US-amerikanische Delegation zu finden ist. Und diese wurde in den letzten zwei Wochen von einer mir zunächst unerklärlichen kollektiven Aufregung heimgesucht, die ich ansonsten nur bei Kleinkindern in der Vorweihnachtszeit beobachten kann. Bald wurde mir klar, dass der Grund dafür ein für den Thanksgiving-Abend geplantes traditionelles Dinner war. Dieses erforderte offenbar umfangreiche Vorbereitungen und sorgte somit für ein gewisses festliches Gebrumm in der Klasse.

Meine amerikanischen Mitstudenten sind unfaire, grausame Leute. Gerade als ich mich so richtig schön benachteiligt, einsam und ausgeschlossen fühlen wollte, wurde ich hinterrücks zu diesem Dinner eingeladen.

Vorgestern fand es statt - etwa fünfzehn reizende junge Leute nahmen daran Teil, ich war einer von insgesamt drei Nicht-Amerikanern. Und so begab es sich, dass ich das erste Thanksgiving-Fest meines Lebens ausgerechnet in China absolvierte. Laut Originalton meiner Kollegen das "traditionellste, das sie jemals abgehalten hatten": gefüllter Truthahn, Pumpkin-Pie, karamelisierte Süßkartoffeln und eigens importierte Thanksgiving-Dekoration inklusive. Zusätzlich fand das Dinner in der funkelnagelneuen gemeinsamen Privatwohnung zweier Klassenkolleginnen statt, die ebenfalls ausgesprochen westlichen Flair verbreitete.

Doch trotz all dieser ambitionierten Amerikanisierung ... so ganz verleugnen konnte dieses spezielle Dinner den östlichen Einfluss seiner Umgebung nicht. Aber seht selbst.

Die kleine, amerikanische Gemeinschaft vor dem ebenso festlich wie geschmackssicher mit Plastik-Erntedanktischtuch und Papiertruthahn geschmückten Tisch. Im Hintergrund ebenso zu sehen der verführerisch duftende 20-Kilo-Truthahn.



Es stellte sich bald heraus, dass keiner der anwesenden Gäste Erfahrung im Zerteilen eines solchen Brontosauriers mit Flügeln hat. Flugs war aber dankenswerterweise Nick LaPierre zur Stelle - der McGyver unter meinen Freunden. Denn er verfügte über ein Buttermesser, mit dem sich so ein Truthahn doch sicher elegant zerteilen ließe.

Im Handumdrehen und mit Verve verwandelte er so den prächtigen Vogel in ein Schlachtfeld.


Aber essen tut man ja nach wie vor mit dem Mund, und der ist sichtlich begeistert. So fand der vermutlich erste mit Stäbchen verzehrte Thanksgiving-Truthahn der Welt in unseren Mägen seine letzte Ruhestätte. Amen.

16 Kommentare:

_mathilda_ hat gesagt…

Was man nicht alles erleben kann im Ausland - Wahnsinn. Hast dir schon überlegt, welchen österreichischen/europäischen (?) Brauch du nach China importieren könntest, um den Horizont deiner Mitstudenten zu erweitern? Als Nicht-Traditionalistin fällt mir aber auf die Schnelle jetzt nix ein, das nicht eh Amerikanisiert ist... Dieses Zusammentreffen der Kulturen stell ich mir auf alle Fälle sehr interessant vor.

ClemmieInChina hat gesagt…

Na aber selbstvernatürlich, liebe Mathilda! Die erste Unterrichtseinheit im Wiener-Walzertanzen wurde im Rahmen des Salsa-Abends in der spanischen Bar von mir bereits abgehalten. Dass die dortige Musik - Salsa eben - nicht einmal den an sich nicht ganz unwichtigen 3/4-Takt befolgt, hat uns dabei nicht besonders gestört. Und so kommt es, dass meine chinesische Sprachpartnerin mittlerweile bereits den Grundschritt des Walzers beherrscht.

Am Jodeln und Schuachplatteln arbeite ich noch ... :)

rudolfottokar hat gesagt…

wie geht das - so einen riesenvogel kriegst doch nicht in ein normales backrohr...und der muss doch stunden brutzeln...und man muss aufpassen, dass er nicht zach wird dabei. also - wer war da der kochspezialist und wieso?
kompliment.
(oder war er eh grauslich...;-)

("aines" wie kaines...)

rudolfottokar hat gesagt…

zum brauchtum und die daraus resultierende verwirrung bei ansässigen hätt ich ein paar tipps auf die schnelle:
barbarazweigerln in eine vase tun; am 6. als nikolo durch die gegend rennen; adventkranz basteln; kekse oder lebkuchen backen.....

(forysile)

Anonym hat gesagt…

Es freut mich sehr, dass ich zu meinem runden Geburtstag Post aus China bekommen habe. Danke für's Glück wünschen. inge
Im Gegenzug wünschen wir dir einen schönen Weihnachtsurlaub ohne troubles. Wir sind gespannt auf deine originellen Berichte.

Anonym hat gesagt…

Das arme Federvieh! ;D

ClemmieInChina hat gesagt…

Ah, ich sehe: Allgemeine Erhellung ist angesagt. Wohlan:

@Rudi: Messerscharf beobachtet! Und es wäre umso schwieriger, als es in chinesischen Küchen normalerweise gar keine Backrohre gibt, weil hier nicht gebacken wird - und schon gar nicht in unseren funzeligen Dorm-Küchen. Dafür gibt es große Hotels mit noch größeren Küchen, wo man ein solches Vogerl in Auftrag gibt. Folgerichtig war das ornithologische Mahl auch von unseren kulinarischen Kompetenzen unabhängig - sprich: gut :).

@sep-ing: Freut mich, dass es angekommen ist :). Auf die chinesische Post ist ja doch Verlass (solange man keine Packerln sondern nur Briefe schickt :P) Alles Gute nochmal!

@Etosha: Aber geh. Das hat ja nix mehr mitkriegt :D.

(dowwkno)

Anonym hat gesagt…

Geil...

Ich find ja immer noch, dass du keine Reise hättest machen dürfen zu Weihnachten. Sondern dort im Dorm bleiben und eine so richtig leiwand ********* Weihnachtsfeier auf Österreichisch veranstalten und alle einladen... Du weißt schon, mit gebackenem Kabeljau und Mayonaisesalat, an bochanan Karp´fn, Vanileekipferln, Zimtsternderln, furchtbar kitschigen Weihnachtsliedern wie "Es wirds scho glei duhuuuumpaaaaaa" und natürlich mit CHRISTBAUM und "Stille Nacht"... *freu*

*rasam* - yeah!!!

ClemmieInChina hat gesagt…

*ggg* YES, das wärs gwesn - und ich hatte schon an Ähnliches gedacht! Allein ... so viele von den anderen Hiaflern fahren auch weg über Weihnachten - da wär's nur halb so lustig. Außerdem gibt es hier eben keine Öfen - und ganz ehrlich: Weihnachten ohne Vanillekipferln? SICHER nicht! :DD.

*wakerc* - oder net?

Anonym hat gesagt…

Racen!
Und so kommts, dass die Amis dann die Europäer für ein kulturloses Volk halten. :D
Und Weihnachten ohne Vanillekipferln werden's ja so oder so.

_mathilda_ hat gesagt…

*gg* Walzertanzen zu Salsa-Musik wär wohl genau das Richtige für mein Rhythmusgefühl und mich - da müsst ich mich nicht dafür schämen, aus dem Takt zu kommen ;)

Rudolfottokar: wo kriegt man in China Barbarazweige? Wobei ich mir durchaus vorstellen könnt, dass das recht witzig sein könnte.

Im Übrigen bin ich Vertreterin der Zimtsternfraktion: Kekse sind generell was feines, aber ohne Zimtsterne gilt das alles nix.

ClemmieInChina hat gesagt…

@toshi: kommt drauf an, ob ich hier einen vanillezucker auftreiben kann :D.

@mathilda: ich hab noch nie in meinem leben zimtsterne gegessen :(. und ich fürchte, das wird sich auch heuer nicht wirklich ändern :P.

SECOTE!!!

ClemmieInChina hat gesagt…

... und übrigens: barbarazweigerln bekommt man hier sehr leicht. kirschen wachsen ja auch in china :).

_mathilda_ hat gesagt…

ups *rotwerd* In Fach Brauchtum bin ich grad mit Pauken und Trompeten durchgerasselt ;)

Zimt ist nicht jedermanns Sache, und da bin ich auch gar nicht böse - je weniger Leute Zimtsterne naschen, desto mehr bleiben für mich :) Ich mag Vanille auch, aber für einen Zimtstern lass ich auch 10 Vanillekipferl liegen. So wär uns, würden wir uns einen Keksteller teilen, auch beiden gedient ;)

ClemmieInChina hat gesagt…

Hehehe - PECH! Ich liebe nämlich Zimt, also wäre der Keksteller sicher heiß umstritten. Der Grund für meine bisherige Vermeidung von Zimtsternen ist eher, dass ich solche einfach noch nie irgendwo gefunden hab. (Habe allerdings auch noch nicht aktiv gesucht.) Werde das aber baldigstmöglich nachholen :).

_mathilda_ hat gesagt…

Ich fasse es nicht! Wie kann man in Mitteleuropa groß werden, und nie über Zimtsterne gestolpert sein? (ok, wenn man drüber stolpert, sinds Zimtbrösel, und Zimtbrösel sind GANZ was anderes ;) ). Aber unter diesen Umständen würde ich für die Entwicklungshilfe glatt etwas Verzicht zeigen, und die Zimtsterne mit dir teilen. Sowas kann doch nicht angehen - ein Zimtliebhaber, der keine Zimtsterne kennt...