Dem willigen Reisenden stehen mannigfaltige Möglichkeiten zur Verfügung, um von Shanghai zum "Huang Shan" - den berühmten "Gelben Berg" - zu gelangen.
Da gibt es einmal den Schnellbus. Er ist die billigste Variante und benötigt etwa sechs Stunden für eine Strecke, die grob jener von Wien nach München entspricht.
Dann gibt es den Schnellzug. Er ist natürlich teurer, braucht aber auch nur fünf Stunden.
Und dann wäre da noch die Heckenbrunzer-Variante: Dabei plagt sich eine freundliche Töff-Töff-Lok über Nacht geschlagene 13 Stunden lang dem Ziel entgegen, hält bei allem, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Haus hat, und ist dabei sogar noch etwas teurer als der Bus. Wahre Freunde der gepflegten Qual verschärfen diese noch durch den Kauf einer "Hard Seater" Fahrkarte; diese stellt sicher, dass die 13 Stunden eingezwickt auf engstem Raum und härtesten Sesseln eine möglichst große Herausforderung an sämtliche Gelenke und Sitzmuskeln darstellen. (Denn ein Schlafabteil mieten kann ja nun wirklich jeder.)
Der erfahrene Leser meines Blogs ahnt natürlich bereits, für welche Variante sich Irene, Nick und ich entschieden, um diese eine der schönsten Naturregionen Chinas zu erreichen.
Huangshan - man kann nie genug davon haben
Mit schmerzendem Körper und bleiern müde von zwei durchwachten Nächten, mit einer harten Bergtour mittendrin, schreibe ich also diese Zeilen und bitte um Nachsicht, falls dies gewisse Auswirkungen auf die Qualität des Eintrags haben sollte. Aber die Bilder sprechen ohnehin für sich selbst; bringen wir also das Bla-Bla rasch hinter uns und widmen uns dann gemeinsam der bunteren Seite der Reise.
Huangshan ist ein Berg. Oder eigentlich eher eine ganze Region voller Berge. Alle um die 2.000 Meter hoch und relativ unberührt, sind sie die Zierde von Anhui, der ärmsten Provinz Ostchinas, und ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen.
Huangshan ist auch eine mittelmäßig attraktive Kleinstadt, die etwa 50 Kilometer von erwähnter Bergregion entfernt liegt. Das fanden wir zur großen Verblüffung aller Beteiligten natürlich erst heraus, als wir nach oben erwähnter Marterfahrt aus dem Bahnhof von ebendieser Stadt wankten.
Annäherung an den Berg
Um eine etwas langwierige Operation kurz zusammenzufassen: Nach einer seitens lokaler Kleinunternehmer gezielt auf uns durchgeführten Transport-Keilerattacke sowie harten Preisverhandlungen, ließen wir uns ebenso willig wie physisch am Ende zu einer Kleinbusfahrt in einen Ort direkt in der gewünschten Bergregion überreden, wo wir dann auch bald Unterkunft für eine Nacht in einem sehr günstigen Hostel fanden.
Dieser Ort, "Tangkou" (wörtlich: "Suppenmund"), konnte - so stellten wir nach Ankunft fest - nicht nur mit beeindruckender Trostlosigkeit aufwarten und hatte das mit Abstand schlechteste Essen in ganz China anzubieten, nein, er war auch immer noch kilometerweit vom eigentlichen Wandergebiet entfernt. Diese freudige Entdeckung machten wir, als wir - frohgemut mit Rucksack, Wanderausrüstung und viel zu wenig Proviant bewaffnet - gegen Mittag zu unserer Bergtour aufbrechen wollten.
Der erste Tag: Lokale Dihydrogeniumoxid-Gravitationsphänomene
Nun ist es so, dass wir ja zwei Tage zur Verfügung hatten. Unsere Ankunft in erwähntem Bergkaff erfolgte Samstag Mittag - und zwar in tiefstem Nebel- und Regenwetter. Da es für eine Bergwanderung also schon etwas spät war und das Wetter sich außerdem für eine Gegend, die für ihre grandiosen Panoramen berühmt ist, suboptimal präsentierte, entschlossen wir uns kurzerhand zu einer kleinen Tour einiger der berühmten Wasserfälle der Umgebung, die leichter zu erreichen und auch bei Nebel wenigstens noch sichtbar waren. Das war - ganz untypisch - zur Abwechslung eine sehr gute Entscheidung.
Schnell war ein Kleinbus samt ausgesprochen freundlichem Fahrer gemietet, und er führte uns zu drei der schönsten Plätze, wo man ein wenig wandern und jeweils grandiose Wasser- und -fall Panoramen bestaunen konnte. Dank des grausig kalten und feuchten Wetters, waren wir dort auch zumeist so gut wie alleine.
Der zweite Tag: I muaß auffi!
Am nächsten Tag - nach soliden zwölf Stunden Schlaf, die wir uns nach der aufrecht sitzend durchwachten Zugfahrt und anschließenden Wasserfall-Kurzwanderungen ehrlich verdient hatten - erwarteten uns strahlender Sonnenschein, kristallklare Luft und somit bestes Bergwetter. Das kleine, desorganisierte Grüppchen, das ich gerne "wir" nenne, konnte nach einem faszinierend widerlichen Frühstück tatsächlich wieder einen Fahrer auftreiben, der uns nach gröberem Hin und Her zum Hauptaufstiegspunkt auf den Gipfel unserer Wahl brachte. Dort, in der vollkommenen Einschicht, wollten wir den Fahrer einige Stunden später wiedertreffen, um zurück zum Hostel gelangen zu können, und dann weiter zum Bahnhof, wo abends um 22 Uhr der Mörderzug seine Fahrt des Grauens zurück nach Shanghai beginnen würde.
Die Wanderung selbst war herrlich - bis auf den 1.800 Meter hohen Gipfel bezwangen wir den Berg vermittels unzähliger Stufen - eine in China durchaus übliche Weise, berühmte Berge zu ersteigen. Die Panoramen unterwegs waren dabei unbeschreiblich schön. Unberührte Natur, herrliche Stille, unzählige Bäche und Wasserfälle, Karstgipfel, die niedrigeren Hänge bedeckende Bambuswälder und nicht zuletzt kristallklare, saubere Luft sowie erstaunlich wenige Menschen entschädigten uns nicht nur mehrfach für alle Strapazen, sondern machten diesen Ausflug auch zum schönsten Naturerlebnis, das ich bisher in China hatte.
Die mehrstündige, ausgesprochen anstrengende, Bergwanderung fand mit einer halbstündigen Busfahrt (der Taxifahrer war nicht gekommen) zurück zum Hostel, einer darauf folgenden einstündigen Busfahrt zurück in die Stadt Huangshan, einem dort eingenommenen (zur Abwechslung einmal hervorragenden) Abendessen sowie einer dreizehnstündigen, ebenso schlaflosen wie fürchterlichen Zugfahrt zurück nach Shanghai ihr Ende.
Nun kann ich - frisch geduscht und nach einem dreistündigen Schläfchen wieder einigermaßen lebendig - eine kleine Bildauswahl präsentieren, die den dortigen Panoramen keinesfalls gerecht wird, dafür aber auch ausgesprochen inkompetent fotografiert ist. Möge der Reigen beginnen.
Se Trip in Piktschers
Die Landschaft des südlichen Anhui präsentiert sich völlig anders als die Umgebung Shanghais, die einer Brettel-ebenen, gigantischen Baustelle gleicht - und auch anders als die Provinz Jiangsu, Ziel meiner bisherigen Reisen, mit ihren sanften Hügeln und freundlichen Städtchen. Anhui ist wilder, mit schroffen Gebirgen, hohen Wasserfällen - aber auch einsamen Dörfern und endlosen Reisfeldern - wie hier zu sehen.
In diese abgelegene und ansonsten untouristische Provinz brach also unser ebenso munteres wie unfähiges kleines Reisegrüppchen auf.
Anhui ist ja eine unglaublich feuchte Provinz. So fällt hier das Wasser nicht nur vom Himmel, sondern auch überall sonst. Das unfreundliche Wetter bildete den idealen Hintergrund für die hunderten berühmten Wasserfälle der Umgebung - kleine ...
... ebenso wie große. Der hier ist mit 120 Metern Höhe immerhin der neuntgrößte in China.
Auf den Wanderungen in dieser Gegend trifft man häufig auf Unerwartetes: freundliche, zehn Zentimeter lange Spinnen ...
... und offenbar massiv Diebstahl-gefährdete Brücken.
Ist aber eh vernünftig, die Brücken gut zu sichern. Sind nämlich ziemlich hübsch.
Wunderschönes Wetter lädt am Sonntag zur Besteigung eines der Hauptgipfel ein. Die tieferliegenden Regionen sind von riesigen Bambuswäldern bedeckt. In diese Megagrashalme ritzen Chinesen gerne ihre Namen ein.
Mit zunehmender Höhe verändert sich die Vegetation. Pappeln dominieren - und nutzen dabei jeden möglichen und unmöglichen Platz.
Noch weiter oben verliert man jeden Respekt vor den alten chinesischen Künstlern: Die Schweine haben einfach abgemalt, was sie gesehen haben!
Aber schön ist das schon ...
Oben angekommen, ist man konditionell ein wenig angeschlagen. Dabei gibt's kaum Pause - schließlich sollte man den Zug tunlichst nicht versäumen, der wenige Stunden später eine Wanderung sowie zwei Busfahrten entfernt losfahren würde.
Andererseits müssen wir wenigstens nur uns selbst schleppen. Dutzende Träger hingegen befördern den ganzen Tag lang Bier und Vorräte auf den Berg - und Schmutzwäsche sowie Abfall wieder hinunter.
Unerwartete Sehenswürdigkeit: der Schilderwald
Ja, ich traf wieder auf ganz viele Schilder von ungeahnter Attraktivität! Und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen:
Da gab es beispielsweise die üblichen semantischen Meisterleistungen ...
... von manchmal durchaus undurchschaubarer Mystik ("Please do not jumps a hurdle"? Hier? Auf dem Berg?)
Dann solche von großer poetisch-philosophischer Schönheit ...
... wirkungslose ...
... mysteriöse ...
(Wir haben uns bemüht, die Aussicht möglichst nicht zu genießen - und wann immer wir auf Affen trafen, wurde auf ausschließlich nicht-kulinarische Weise geflirtet!)
... aber auch solche, die Aufschluss über die chinesische Mentalität geben. Diese ist offenbar von hohem hygienischem Niveau ...
... zumindest manchmal.