Dienstag, 19. Mai 2009

Weiter im Text: Ningbo

Ich habe erfahren, dass die gesamte Blogspot-Plattform tatsächlich von offizieller Seite gesperrt wurde. Dies ist nicht gerade eine großartige Unterstützung betreffend meine ständigen Appelle, was für ein wunderbares Land dies wäre. Aber na gut, dann machen wir halt ohne Bilderchen und sonstigen Formatierungen weiter. Stellt’s Euch diese Pixelwüste einfach als gelegentlich von einem Bonanza der Farben unterbrochen vor. Wozu hat man schließlich Phantasie.

Heute geht’s um meinen kleinen Wochenend-Trip nach Ningbo. Der war überraschend. Allerdings auf ganz andere Weise als gedacht. Und das ist ja dann immer umso überraschender.

Schon bei der Hinfahrt im Zug, als ich mit einer Schulklasse aus Neunzehnjährigen (mal wieder) gemeinsam ein paar Lieder sang, merkte ich: Etwas ist anders. Drehte sich doch tatsächlich ein Herr zu uns um und ermahnte zur Ruhe(!). Normalerweise ist dies der Chinesen größte Angst: Ruhe. Und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass in diesem Land alles getan wird, um nicht unnötige Lautlosigkeit einreißen zu lassen. Überall hupt es, schreit es, kracht, hämmert, dröhnt und röhrt es, dass es nur so eine Freude ist. Selbst die Automotoren sind hier mindestens dreimal so laut wie daheim. Und im Zug um Ruhe gebeten - anstatt angefeuert - zu werden, das kannte ich bisher nur aus Europa!

Nun liegt Ningbo, die Stadt der drei Flüsse und der größte Tiefseehafen Chinas, in der reichsten aller Provinzen: Zhejiang. Etwa so groß wie Österreich - allerdings mit siebenmal so vielen Einwohnern - werden die Menschen dieser Provinz in ganz China für ihre Cleverness und ihren Reichtum bewundert, und für ihre sprichwörtliche Arroganz vernadert.

Bei meiner Ankunft empfing mich brütende Hitze, und als ich so bei 33 Grad durch Ningbos Straßen floss, bewunderte ich die modernsten und saubersten Straßen, die ich bisher in China gesehen hatte – mit Ausnahme vielleicht von Hong Kong.

Und noch etwas verwunderte mich: Nie zuvor in China (wiederum mit Ausnahme von Hong Kong) sah ich eine derartige Konzentration von Westlern. Es gibt in dieser Stadt ein eigenes Viertel voll mit Bars, Restaurants und Clubs, das zu etwa drei Vierteln von Angehörigen der europiden Rasse bevölkert wird: „Laowai Tan“, etwa: „Straße der Ausländer“ - ein Wortspiel mit Bezug auf Shanghais berühmten „Bund“ (auf Chinesisch: „Wai Tan“).

Dort drückt man mir gleich einen Flyer in die Hand:

„Ningbo Food 2 U – Food Delivery Website for Foreigners who live in Ningbo“

Ein Service für jene, die nicht imstande oder willens sind, genug Chinesisch zu lernen, um ein paar Gerichte zu bestellen. Auch die Auswahl an Lokalen, die durch diese Firma repräsentiert werden, zeugt von großer Offenheit seitens der Klientel gegenüber der hiesigen Kulinarik: McDonald’s, Papa Jones Pizza, New York Pizza, Starbucks Coffee und Häagen-Dasz garantieren, dass wir in dieser Stadt mit dem feinsten, was unsere westlichen Länder an Speisen zu bieten haben, versorgt werden und uns gar nicht erst mit der chinesischen Küche befassen müssen. Das verwirrt nur.

Ganz entsprechend dieser erfrischenden Geisteshaltung, erfreut mich auch die Klientel dieser Gegend: wohlbeleibte westliche Herren von wenig ansprechendem Äußeren in ihren 40ern, kurzen Hosen und Schlapfen, nüchtern oder auch gerne in besoffenem Zustand – überwiegendenfalles aber in Begleitung auffallend hübscher, zumeist deutlich jüngerer Chinesinnen. Welch wundervoller Beweis, dass wahre Liebe auch über Sprachgrenzen hinweg funktioniert!

Trotz des mich angesichts dessen spontan würgenden Brechreizes und akuten Fremdschämens, betrete ich eine Bar, in der Live-Musik angekündigt wird. Diese überrascht mich – denn eine philipinische Band geigt gar großartig auf: Rolling Stones, Mister Mister und ähnliche Rockklassiker werden mit großem Können und unglaublichen Stimmen zum besten gegeben; und gerade als ich mich darüber freue, dass selbst diese Gegend etwas Nettes zu bieten hat, betritt Koarl als "Gastsänger" die Bühne.

Hier heißt er Garry, ist sogar noch blader, natürlich ein „very good friend“ des Sängers, spricht nach Jahren in Ningbo kein Wort Chinesisch und - frohlocket! - gibt Elvis Presley. Die Stimme ist nicht schlecht – doch man grooved, man rockt, man swingt, ist für einen 55-Jährigen überhaupt ausgesprochen cool … aber generell gesprochen ist ein derart massiver Hüftschwung nicht das letzte Bild, das ich von diesem Tag mit nach Hause nehmen möchte. Daher verlasse ich die Bar bald, und genieße noch einen Abendspaziergang.

Dieser, sowie eine Besichtigung der restlichen Stadt am nächsten Tag, versöhnen mich mit diesem ansonsten sehr schönen und sympathischen Ort. Für die Heimfahrt erstehe ich ein Busticket, da ich auf diese Weise die mit 35 Kilometern längste Brücke der Welt überqueren kann – und die ist ausgesprochen beeindruckend. (Das fetzt jetzt ohne Fotos natürlich wahnsinnig.)

Für meinen nächsten Ausflug aber werde ich versuchen, einen Ort auszuwählen, der ein bisschen weniger koarlt. Bei aller Liebe … ich bin in China, und nicht in Simmering.

6 Kommentare:

rudolfottokar hat gesagt…

na bitte - geht doch!!!
;-)

_mathilda_ hat gesagt…

Puh, da fallen halbe Steinbrüche von meinem Herzen. Was würde ich ohne deine amüsant geschriebenen Texte tun?

Und für die Bilder lässt sich sicher ein "Workaround" finden ;)

unterwegs hat gesagt…

Klar vermiss ich Deine Fotos, aber Deine Erzählungen vermitteln auch ohne Bilder schöne Bilder.
Und eine 35-Kilometer-Brücke kriegt man sowieso nicht auf ein Foto.
Naa, blöder Scherz natürlich. Deinen Blick auf diese Brücke hätte ich schon sehr gerne gesehen, weil dafür (35-km-Brücke?) reicht meine Phantasie nicht aus - bei allem Farben-Bonanza.

Etosha hat gesagt…

Hihi, da Koarl! Zwischendurch hat er ja Urlaub in Europa gemacht und saß neben meiner Schwester im Flugzeug nach Bukarest. Drum konnte er auch vorübergehend nicht bei dir sein. ;)

Na, du wirst schauen, wennst wieder da bist! Hier is überall Simmering! ;D

ClemmieInChina hat gesagt…

ach, das ist aber fein, dass es auch ohne bilder geht ]:). bissl fad isses schon, aber wenigstens erspar ich mir das mühsame hochladen ^^.

und unterwegs: dein scherz ist durchaus angebracht ... tatsächlich sind die fotos mäßig beeindruckend, weil man eben wirklich immer nur geländer und ein bissl wasser sieht. vom schifferl aus mit monsterweitwinkel - ja, das wär was! ]:)

@toshi: *lol* der koarl war bei deiner schwester? ach DRUM ist er diesmal bei mir nicht im zug gewesen ]:D.
aber in wien ist, bitteschön, nicht überall simmering. manchenorts ist durchaus auch meidling ^^.

rudolfottokar hat gesagt…

und auch hadersdorf hat seine koarln.
(ich glaub koarl is imma und überall)