Donnerstag, 16. Oktober 2008

Aus dem Leben eines Grenzgängers: Operation Gummiringerl

Wir haben es nicht einfach, wir Abenteurer des 21. Jahrhunderts: Fast alles wurde heutzutage schon gemacht. Kaum eine ungastliche Wüste dieser Erde, die nicht bereits im Alleingang bewältigt, kaum ein Gebirge, das nicht auf Skiern in Badehose überwunden und kaum eine Steppe, die nicht hüpfend im Handstand Halleluja-singend durchquert wurde.

Was bleibt da noch, frage ich, Menschen wie mir, die stets die Extreme suchen und hier, in China, an ihre persönlichen Grenzen gehen wollen? Die Antwort traf mich heute Morgen wie ein Blitz:

Ich werde Gummiringerln kaufen!

In China. Im Alleingang. (Aber nicht im Handstand. Alles hat seine Grenzen. Auch Grenzgänger.)

Die Ausgangslage: Der Kärtchenturm
Es ist nämlich so, dass sich die Kärtchen, auf welche ich meine bereits gelernten Schriftzeichen schreibe, langsam zu bedrohlichen Türmen aufhäufen. Und vermittels Gummiringerln plante ich, der Schwerkraft drohend’ Plumps Herr zu werden.

Die Planungsphase: Erste Hindernisse
Die Schwierigkeiten begannen bereits in der Planungsphase der Unternehmung: Welche Art von Geschäft beschäftigt sich hierzulande mit dem Gummiringerlhandel? Eine gleichwohl berechtigte wie knifflige Frage, die ich – ehrlich gesagt – nicht einmal für mein schönes Heimatland beantworten könnte.

Doch fragen gilt nicht, schließlich wollte ich die Mission im Alleingang bewältigen.

Also entschloss ich mich, einen Superstore aufzusuchen, in dem es wirklich alles gibt, denn – so dachte ich – wo es alles gibt, da dürfen auch Gummiringerln nicht fehlen.

Der Superstore des Geschehens: Wo-Er-Ma
Ein kluger Gedanke. Doch bereits nach Erreichen des Schauplatzes meiner ultimativen Herausforderung wurde mir schlagartig bewusst, was ich nicht berücksichtigt hatte. Denn selbst bei sorgfältigster Planung ergeben sich bei solchen Unternehmungen im extremsten Bereich des menschlichen Erlebens unvorhergesehene Schwierigkeiten. Damit muss man rechnen, das gehört einfach zu den Risiken bei einem Leben am Limit. Das Hindernis, das sich nun vor mir auftat – wie ein Drache, der dem tapferen Helden, der auszog, das Ungeheuer zu bezwingen, schwingenschlagend und hohnlachend feuerspeiend mit einem Schlag seines mächtigen Schweifes die Sinne raubt – war von wahrlich furchterregendem Ausmaß.

Denn „Alles“ hat die unangenehme Eigenschaft, ziemlich viel zu sein. Und „ziemlich viel“ braucht auch große Mengen an Platz. Daraus wiederum folgt, dass ein Geschäft, das alles hat, auch sehr groß sein muss. Und das ist es auch.

Leider habe andererseits ich die unangenehme – und für einen Helden unserer Zeit ausgesprochen hinderliche – Eigenschaft, viel Platz dafür zu nützen, mich effizient darin zu verlaufen. Oder im Fall eines Geschäfts, in dem es alles gibt und in dem ich nach einem bestimmten Artikel suche, tatsächlich alles zu finden.

Außer Gummiringerln, wie sich bald herausstellte.

Weitere Hindernisse: Kommunikativer Breakdown
Zum Glück beherbergt der Superstore namens „Walmart“ (oder „Wo-Er-Ma“ in chinesischer Transpiration) einen fulminanten Reigen hochmotivierten Fachpersonals, den zu befragen ich als nächstes die Entscheidung traf.

Nun gehört das chinesische Wort für „Gummiringerl“ leider nicht zu meinem aktiven Standardvokabular. Hier zeigt sich aber wiederum die jahrhundertelange Erfahrung eines geübten Abenteurers: Immer die richtige Ausrüstung mitzuhaben, kann bei Expeditionen überlebenswichtig sein. Und obwohl ich generell dringend davon abrate, meine Unternehmungen ohne professionelle Sicherheitsvorkehrungen zu Hause nachzuvollziehen – eines muss man in der Wildnis auf jeden Fall beachten: Nie ohne ein Chinesisch-Wörterbuch außer Haus gehen! (Und ohne Taschentücher. Falls man niesen muss.)

Die Erlösung? - Chinesisches Fachpersonal
So fragte ich also souverän nach einem „Xiangpijin“ – und erntete einen ebenso souverän verdutzten Blick. Außerdem kam weiteres Fachpersonal hinzu. Nachdem das Berater-Grüppchen auf eine ansehnliche Größe angewachsen war, bot sich mir die seltene Gelegenheit, ein in freier Wildbahn ganz selten gewordenes Schauspiel mitzuverfolgen: kollektive Ratlosigkeit chinesischer Walmart-Verkäufer. Bei diesem possierlichen Vorgang versucht jeder der herbeigeeilten Berater, die anderen während einer lebhaften Diskussion an Lautstärke zu übertreffen, während gleichzeitig mit Hilfe starker ritueller Gestik und genau kalkulierten Schrittfolgen die Tatsache geschickt zu verbergen gesucht wird, dass niemand wirklich von irgendetwas eine Ahnung hat.

Nach Minuten des Staunens löste ich die Walmartsche Entsprechung eines gordischen Knotens durch unter-Beweis-Stellung meiner kompetenten Beherrschung des lokalen Idioms: „You ma?“ (bedeutet in etwa: „Gibt’s des überhaupt do?“) fragte ich also in die munter wogende und gestikulierende Gruppe hinein. Kurzes Stutzen. Zartes Staunen. Großes Oh-en, lautes Ah-en. (Ja, der West-Mensch spricht drei Worte Chinesisch.) Dann endlich die erlösende Antwort: „Meiyou“. (etwa: „Naaa!“)

Und so kommt’s, dass die blöden Kärtchen auf meinem Tisch immer noch dauernd durcheinanderfallen, wenn ich einmal ein bissl anstoße. Leben am Limit is oasch.

15 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Großartig! :) Dieser Mut! Diese Todesverachtung! Dieses Überschreiten der äußersten Grenzen menschlichen Seins! Und die chinesische Transpiration! Echt der Hammer! *gnihihi*

Hier, für dich! Geschenk des Hauses.

rudolfottokar hat gesagt…

selten so gelacht... ;-)
wenns dir hilft - ich schick dir ein paar gummiringerln...sind ja nicht schwer. lass es mich wissen.
aber vielleicht dauert die post so lange, dass sich eure wege inzwischen kreuzen...

ClemmieInChina hat gesagt…

@ toshi: Klass, wenn man Freunde hat :). Ich schick Dir dann ein Foto von meinen Kärtchen, vielleicht hilft's ja :D.

@ rudolf: tatsächlich fänd ich das gar nicht mal übertrieben :P. Vielleicht schickt's mir ja irgendwann einmal sowieso etwas, um die Adresse auszuprobieren. Dann würd ich zu ein paar Gummiringerln nicht nein sagen.

Peinlich, echt *g*.

vronella hat gesagt…

tätäratäääääääääää täätärääääää (wer's nicht erkannt hat, das war die indiana-jones-melodie ;) )

bitte clemi du musst viel viel mehr expeditionen dieser art unternehmen! ich habe - auch wenn das mitleid mit deinereiner unglaublich groß - mich richtig zerkugelt grade... kannst nich sowas wie... hm... powidl suchen gehen, das wär doch auch spannend oder?

und bitte, wir wollen fotos vom schiefen kärtchenturm von pisa... ähm... shanghai...

aber hast du schon mal überlegt ne richtige lernkartei draus zu machen? schuhkarton und fertig! ;)

Anonym hat gesagt…

Is die Frage, woher kriegtma in Shanghai einen Schuhkarton? :D

vronella hat gesagt…

na das ist dann das nächste abenteuer ;)

"indiana clemi - jäger der papierenen truhe" oder sowas *hehe*

ClemmieInChina hat gesagt…

Schuhkarton ... nun ... dazu hätt ich eine andere Geschichte *ähm* :D.

Aber nachdem ich mich hier nicht zum kompletten Idioten machen möchte, lass ich das lieber *g*.

Anonym hat gesagt…

Gschichtl! Gschichtl! Gschichtl! Loslosloserzäääähl! :)

Anonym hat gesagt…

Dann werden wir wohl statt der Fanclubreise ein Gummiringerl-Carepaket finanzieren ;) Besonders göttlich find ich die launigen Übersetzungen - ich stell mir das sehr slapstick-mässig vor, auch wenns in der konkreten Situation eher zum Verzweifeln sein mag.

Alternativ würde ich halt Bindfaden vorschlagen zur Bündelung der instabilen Lernkartentürmchen (so mir Konstruktivismus erlaubt ist und Bindfaden ein in China erhältliches Gut darstellt).

Anonym hat gesagt…

Nachtrag:
Ich bestehe auf die Wiedergabe der Schuhkarton-Geschichte! Absolut!

ClemmieInChina hat gesagt…

Uiuiui, da hab ich was angerichtet ...

@toshi + mathilda:
die schuhkartongeschichte ... ich fürchte, die gibt's gar nicht :(. oder zumindest ist sie sehr kurz: ich wollte schuhkartons besorgen, um dinge darin abzulegen, habe aber keine gefunden. das war's. sorry.

@mathilda:
hihi, der liebe papa hat mir bereits ein gummiringerl-carepaket angeboten. er hat halt ein herz für menschen in der dritten welt :).
aber bitte keine umstände, ich komme auch ohne diese dinger aus - und sammle auch bereits gebrauchte solche! die bindfaden-idee ist natürlich auch eine sensationelle, doch ... wo bekomme ich hier bindfaden? *hm* ich könnt's mal bei walmart versuchen :D ...

Anonym hat gesagt…

Aua Kopfweh. Sei froh, dass´d in China bist ;-)))

Anonym hat gesagt…

nach dem feuerlöscher also das gummiringerl. das leben meint es echt nicht gut mit dir :-). aber nicht unterkriegen lassen, andere haben auch mehr anläufe gebraucht für die wahren rekorde. also mensch ärger dich nicht, zurück zum start und auf in die nächste runde!

Anonym hat gesagt…

Ich bin nicht sicher, ob ich das schreiben soll, da du ja entschlossen bist, das alleine zu machen, aber: östlich neben dem Yu-Garten gibt es einen Xiao Shangpin Shichang (Also einen Markt für Kleinzeug), und dort hab ich 100%ig Riesenpackungen Gummiringerl gesehen. Is zwar ein bisserl weit für so einen kleinen Scheißdreck, aber irgendwann würdest du ja wohl ohnehin dorthin kommen. Aber das muss es ja wohl auch anderswo geben, mir fällt jetzt aber auch nix Gutes ein.
Xiangpijin, also.. man lernt nie aus..
Grüße aus dem Land mit dem geschmacklosen, teuren Essen!

ClemmieInChina hat gesagt…

@anonym: ja, wer bistn du? du klingst so merkwürdig vertraut? und du kennst die geschichte mit dem feuerlöscher? merkwürdig *grübl* ;)

@uli: hey, schön, dass du mal vorbeischaust! wie läuft die eingewöhnung? alles o.k.?
danke für den tipp! peinlicherweise kenn ich den sogar. (aber in der gegend kannst als westler ja keine zehntelsekunde stehenbleiben ohne angekeilt zu werden :P) werd demnächst mal stehenbleiben.
aber jetzt muss ich mich erstmal in der sensationellen erfahrung suhlen, ein vokabel zu wissen, das du nicht kennst *g* ;).