Samstag, 11. Oktober 2008

Klassenkampf

... denn einen solchen absolviere ich hier in tagtäglichem Todesmut! Andere mögen es "Unterricht" nennen oder "Vorlesung", doch angesichts des Anforderungen finde ich dieses große Wort durchaus angemessen.

Man muss dazu wissen, dass ich wöchentlich drei Vorlesungen im Gesamtausmaß von 18 Stunden besuche: "Du Xie A", "Du Xie B" und "Ting Shuo". dienstags, mittwochs und freitags beginnt das Fest des Geistes bereits um 8 Uhr, folglich sieht man mich spätestens um 7.45 Uhr im Halbschlaf quer über den Campus radeln, mit Ziel "Guanghua Türme" - ein Doppelhochhaus, in dem sich die Hörsäle wohlig aneinander kuscheln. Montag und Donnerstag sind meine gemütlichen Tage - da beginnt die Sache erst kurz vor 10 Uhr. Der Großteil der Nachmittage, die Abende und das Wochenende stehen zum Lernen bereit und werden von mir auch solchermaßen eifrig genutzt. Ein Lernaufwand von 3 - 5 Stunden täglich ist dabei durchaus normal und wird interessanterweise von meinem Hirn auch zumeist ohne gröbere Rauchentwicklung verkraftet.


Fünfundzwanzig wissbegierige junge Menschen kommen in meinem Kurs tagtäglich in den Genuss, nichts verstehen zu dürfen.

Die erste Vorlesung, Du Xie A (= "Lesen und Schreiben, Teil A"), wird geleitet von Frau Zhao. Sie ist als wohl einzige Lehrkraft nicht deutlich jünger als ich und strahlt folgerichtig auch eine entsprechend abgeklärte Ruhe aus. Sie hält den Unterricht ausschließlich auf Chinesisch. Dies ist spannend, da sie zuständig ist einerseits für neue Vokabel, aber auch für die Grammatik. Faszinierenderweise hat sie eine derartig genaue und langsame Art zu sprechen, dass ich mit stolzgeschwelltem Hirn behaupten kann, etwa 90 Prozent dessen, was sie präsentiert, auch zu verstehen. Auch schreibt sie sehr viel und sehr ordentlich (mit Farbkreide!) an die Tafel und nimmt sich viel Zeit, jedes der interessanteren neuen Vokabel (etwa 20 pro Tag, dabei 10-20 neue Zeichen täglich) sowie jeden Grammatikaspekt genau durchzudiskutieren. In ihrem Kurs wird viel gemeinsam gelesen. Vor allem die Beispielsatz-Chöre sind dabei zumeist von beispielloser akustischer Schönheit. Besonders, wenn die Klasse angesichts der plötzlichen Konfrontation mit einem unerwarteten Zeichen in kollektives Gestutze, -stammle und -stottere ausbricht.


Professor Zhao ist von großer Gemütsruhe beseelt. Vielleicht will sie uns aber auch nur um 8 Uhr früh nicht allzu abrupt aufwecken.

Der zweite Kurs - stets direkt an den ersten anschließend - ist Du Xie B. Geleitet wird dieser von Frau Zhang, einer ungemein energischen Person, was man angesichts ihres offensichtlich jugendlichen Alters so gar nicht erwarten würde. Anfang des Semesters begann sie mit sehr langsamer, genauer Aussprache (von erhebender Lautstärke!). Mittlerweile jedoch hat sie sich innerhalb nur eines Monats zum veritablen sprachlichen Hochgeschwindigkeits-Versuchslabor vorgearbeitet. Auch sie verwendet kein Wort Englisch, und ich muss gestehen, dass sich aufgrund eben erwähnter Highspeed-Vortragstechnik mein inhaltliches Verständnis ihres Kurses momentan irgendwo im 60-Prozent-Bereich bewegt. Da sie die Grammatik aber nur wiederholt und ansonsten anhand der Lektionstexte beispielhaft behandelt, ist dies (bisher) gar nicht so dramatisch. Außerdem bilde ich mir ein, in den letzten paar Stunden ein wenig mehr mitzubekommen. Frau Zhang hat auch die Angewohnheit, bei Fehlern oder schlechter Aussprache unsererseits in herzhaftes Lachen auszubrechen und auch das eine oder andere Scherzchen darüber zu verbreiten - sehr zum Amusement der auslandschinesischen oder der bereits fließend chinesisch beherrschenden koreanischen und japanischen Mitstudenten, die nur in Level B sitzen, weil sie nicht schreiben können. Außerdem ist sie ein großer Fan auswendig aufgesagter Texte - sowohl in den Stunden als auch als Hausübung. Immerhin geht bei ihr aber auch unheimlich etwas weiter, und selbst meine Lese- und Sprechgeschwindigkeit hat sich von der Stufe "Darwinsche Evolution" auf das Niveau "Sanddüne" gehoben.


Professor Zhang ist eigentlich eine sympathische und auf jeden Fall kompetente Person. Trotzdem haben wir alle ganz viel Angst vor ihr.

Schließlich gibt es da noch Frau Ji, die für "Ting Shuo" - also "Hören und Sprechen" - zuständig ist. Sie hat offenbar in Amerika studiert, denn ihr Englisch - und sogar dessen Aussprache - ist hervorragend. Dementsprechend verwendet sie es auch verhältnismäßig oft in den Stunden und führt so das eine oder andere grammatikalische Aha-Erlebnis herbei. (Erstaunlich, wie oft man denkt, man hätte nun etwas verstanden, nur, um dann mit zarter Verwunderung zu entdecken, dass man mit Karacho den Holzweg hinunterdampfte.) Mit ihr nehmen wir die Übungen jeder Lektion durch, hören gesprochene Texte, um danach schriftlich Fragen zu beantworten. (Wir nennen das gerne "Hören & Raten".) Sie ist eine ausgesprochen nette und hilfreiche Person und auch eine Kapazität in Sachen Motivation. Ansonsten sind Chinesen ja von einer inspirierenden Offenheit ("Your Chinese is really very bad!"), doch bei ihr ist das ganz anders. Ob einer meiner geschätzten amerikanischen Kollegen seine farbenfrohe und vom Original erfrischend unabhängige Interpretation der chinesischen Laute präsentiert, oder ob ich selbst ganze fünf Minuten brauche, um - Qualen erleidend - einen einzigen halbwegs zusammenhängenden Satz hervorzustammeln: Sie ist stets voll des Lobes und zaubert ein Lächeln auf das Gesicht selbst des untalentiertesten Adepten.

Professor Ji ist stets ausgesprochen unglücklich, wenn uns ihre ermunternde Aufforderung, uns doch freiwillig zu einer Übung zu melden, in totengleicher Versteinerung erstarren lässt. Wir geben uns Mühe, sie mit beeindruckender Sprachinkompetenz aufzuheitern.

In einem Monat werden wir dann die Half-Semester Examination über uns ergehen lassen. Denn bis dahin werden wir den gesamten Stoff des Lehrbuches durchgenommen haben. (In Europa ist dafür mindestens ein ganzes Semester vorgesehen.) Über diesen werden wir dann in einem mehrteiligen Test genauestens geprüft und steigen - bei Bestehen - ins nächste Level auf. Ich bin sehr gespannt, ob bis dahin meine Verzweiflung ob der Unschaffbarkeit eben dieses Levels C, das nun auf mich zukommt, bereits eine geringere ist, oder ob ich wieder zurückkehre in die niederen Gestade des dümmlich grinsenden völligen Unverständnisses.

Insgeheim hoffe ich auch, dass ich diesmal jenen Gentleman als Lehrkraft vermeiden kann, der bei meinem ersten Level-C-Versuch mein Selbstbewusstsein mit einer gelungenen Kombination aus halsbrecherischer Sprechgeschwindigkeit, dickem Shanghai-Dialekt sowie kunstvollem Genuschel nachhaltig zerstörte.

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Da fragt man sich unwillkürlich, ob nicht eine Frau Ji wesentlich besser geeignet wäre, die grammatikalische Ausbildung zu übernehmen.

Jedenfalls erstarre ich wieder mal vor Ehrfurcht! :)

ClemmieInChina hat gesagt…

Ja, diese unwillkürliche Frage erhob sich bei mir auch ... äh ... unwillkürlich :). Aber alles in allem ist das Ganze doch sehr gut.

Und: Zu erstarren gibt's da gar nix. Schließlich hast Du uns noch nicht Chinesisch sprechen gehört. Da könntest dann Erstarren. Vor Entsetzen nämlich *g*.

Anonym hat gesagt…

Ich tät ja nicht merken, wie entsetzlich das ist! Ich brauchert sozusagen einen Dolmetscher, der mir das sehr getreulich in gebrochenes Deutsch übersetzt. :D

ClemmieInChina hat gesagt…

hihi - naja, ich glaub, das tätst auch so merken. hier ein auszug:

"Xianzai ... ähm ... xianzaaaaai ... ähm ... äh ... *schaaas* ... nin ... niiiin ... äh ... *verdammtnochammalheast* ... ääääh ..."

so zirka *g*.

rudolfottokar hat gesagt…

mahhhh....des klingt kompliziert...

Anonym hat gesagt…

Ich werde nie in der Lage sein es zu überprüfen, aber deinen Ausführungen folgend, drängt sich mir der dringende Verdacht auf, dass du in spätestens 3 bis 5 Jahren des Chinesischen, das an der Ausbildungsstätte deiner Wahl gelehrt wird, ebenso flüssig und geschliffen-eloquent mächtig bist, wie du es im Deutschen Blogeintrag für Blogeintrag unter Beweis stellst. Wie etosha bin ich beeindruckt und schätze mich glücklich, die bei mir ebenfalls eintretende ehrfürchtige Starre zugunsten dieses Kommentars überwunden zu haben. Woran es mir dafür mangelt, ist die Vorstellung, dass eine von den herzigen kleinen Chinesinnen, denen ich vorrangig bei der Konsumation asiatisch inspirierter Speisen in Österreich begegne, in der Lage sein soll, eine furchteinflössende Aura zu entwickeln. Es fragt sich, ob nur die wenig wehrhaften weiblichen China-Auswanderer in Restaurants landen, oder ob meine Fantasie einfach nur beschränkt ist ;)

ClemmieInChina hat gesagt…

*lol* Wohl gesetzt formuliert - und abermals muss ich ebenso vergeblich bescheiden wirken wollend wie dankend den Kopf senken ;).

Aber es ist tatsächlich so, dass auch Frau Zhang durchaus klein und herzig ist. Allerdings nur bis sie den Mund aufmacht. So einen Befehlston muss man erst einmal drauf haben. Und laut sind Chinesen sowieso in einem Ausmaß, dass für den Durchschnittseuropäer unvorstellbar ist.

Und Rudolfottokar: Ja, is es kompliziert :P.

ClemmieInChina hat gesagt…

Waaah ... "dass" = "das" ... (wie peinlich :P)

vronella hat gesagt…

yeah! operation lehrerfotos ist geglückt... ich bin so stolz auf dich!

ich kann mir richtig vorstellen wie ein clemiriese vor dem kleinen chinischen lehrermausi erstarrt, wenn er aufgerufen wird... armer bub!!!

ClemmieInChina hat gesagt…

Naja ... erstarren eh nicht, man hat ja einen Ruf zu verlieren. Aber gestottert und gestammelt wird, dass es nur so eine Freude ist :D.