Sonntag, 12. Oktober 2008

Zhouzhuang - es gibt das alte China DOCH noch!

Ich bin ja unter anderem auch hier, um meine Grenzen zu verschieben, was ich heute im Rahmen eines beschaulichen Sonntags-Ausflugs einmal wieder tun konnte. Und zwar nicht nur, weil ich an einem Sonntag freiwillig um 7.30 Uhr aufstand - sondern vor allem, weil ich erstmalig alleine in ein chinesisches Dorf aufbrach, das weder mit Zug noch mit Flugzeug zu erreichen war. Ich war also gezwungen, einen Überlandbus zu nehmen, und das tun nicht viele Westler, da dafür Chinesisch-Kenntnisse eigentlich unerlässlich sind.

Clemi allein im Bus
Den Bahnhof für Fernbusse muss man sich eher wie einen Flughafen vorstellen - von gigantischer Größe, unfassbare Menschenmassen und riesige Wartehallen. Selbstverständlich sämtliche Beschriftungen nur in Chinesisch und das Personal auch nur dieser schönen Sprache mächtig. Und genau DAS war es, was ich mit Grenzen verschieben meine - denn es ist schon ein wenig gruselig, sich als einziger von allen Seiten angestarrter West-Mensch mitten in die Scharen an Bauern, Wanderarbeitern - aber auch chinesischer Städter aus allen Teilen Chinas zu begeben, um ein kleines Örtchen irgendwo im Nirgendwo zu erreichen.

Zhouzhuang ist eines der für das südliche Jangtse-Delta typischen Wasserdörfer, die von Kanälen durchzogen und völlig autofrei sind. Es liegt etwa 70 Kilometer von Shanghai entfernt, die winzigen, klapprigen Busse benötigen für diese Entfernung allerdings über zwei Stunden.

Endlich raus
Spannend war diese Fahrt aber nicht nur wegen des beengten Gescheppers mitten durch die chinesische Pampa. Sie war es auch, weil ich nicht wusste, ob es mir vor Ort gelingen würde, durchaus notwendige Operationen vorzunehmen, wie beispielsweise herauszufinden, wann der letzte Bus nach Shanghai zurück fährt, wie und wo ich ein Ticket kaufen würde - und schließlich hatte ich keine Ahnung, ob es Pläne des Ortes gab oder wie ich mich sonst orientieren soll.

Um es kurz zu machen: Es hat alles wunderbar geklappt, vor Ort hat mich sogar mein Sitznachbar aus dem Bus - ein älterer Chemiker auf Dienstreise - freundlich dabei unterstützt, das Ticket zu besorgen ... und die Reise war alle anfänglichen Unsicherheiten mehr als wert! Zhouzhuang ist der schönste Ort, den ich bisher in China besuchen durfte. Denn fast ungläubig konnte ich feststellen: Es gibt sie tatsächlich - die uralten, unberührten und friedlichen (!) chinesischen Örtchen, die so aussehen, wie man sich China unter Aufbietung aller Klischees vorstellt.

Vom Marchfeld in die Wachau
Dabei beginnt die Fahrt eher unspektakulär, denn Shanghai ist ein Stadtstaat. Und wenn man so durch das Bundesland Shanghai, also die Umgebung der eigentlichen Stadt, fährt, könnte man denken, ganz China ist eine einzige Baustelle - Bauschutt, Kräne, Bagger, dazwischen höhere und weniger hohe, auf jeden Fall aber nicht besonders schöne Häuser. Dann noch der eine oder andere hoffnungslos veschmutzte und unfassbar stinkende Kanal und ein paar dazwischen eingezwickte Felder. Man muss sich das als eine Art Marchfeld mit vielen Schutthaufen vorstellen.

Doch kaum überquert man die Grenze zur Nachbarprovinz Jiangsu ändert sich das Bild: Plötzlich wird es grün und sauber - die endlose Siedlungsfläche geht in tatsächlich voneinander trennbare Orte und landwirtschaftliche Flächen über - es gibt hübsche Teiche, endlose Reisfelder, kleine Bambuswäldchen und richtig nette Städtchen.

Fast schon kitschig: Zhouzhuang
Nähert man sich Zhouzhuang, wird es geradezu kitschig-entzückend. Das Jangtse-Delta ist ja ein ungemein feuchter Ort, also hat man es hier mit Seen, Kanälen und generell vielen Wasserflächen inklusive kleineren und großen Booten und Schiffen sowie Brücken zu tun. Und Zhouzhuang selbst versetzt einen zurück in eine Zeit der chinesischen Geschichte, von der ich nach fünf China-Besuchen dachte, es gibt heute keine Reste mehr davon. Gut - war natürlich naiv von mir, da ich mich bisher noch nie aus den großen Städten hinausgerührt habe, aber man gönne mir meine kindliche Begeisterung!

Bevor nun also der gewohnte Bilderreigen losgeht, zur Einstimmung noch ein paar kurze Fakten, die sehr einfach durch Scrollen übersprungen werden können. Ich übernehme sie wörtlich aus dem auf Englisch (!) zur Verfügung stehenden Prospekt, den ich vor Ort von einem alten Bauern erstanden habe:

"Zhouzhuang's history can be dated back to over 900 years old. Zhouzhuang is the home of the famous Chinese Writer. And the ancient cwtural town in Soun China in the first region of rivers ang lakes in china. The town in surrounded by water with many branching steams. Visitors from all over the world are intoxicated by its wnique scenery, which is formed by lanes, alleys, meandering steams, stone bridges and old residence with black tiles and white well."

Und es stimmt jedes Wort.

Nun aber die Fotos ...


Die Fahrt in dem kleinen Bus ist von großem Lokalkolorit geprägt: Was man so braucht, wird mitgeführt - und wenn's zu voll ist, werden kleine Plastikhocker verteilt, auf welchen man zwei kauernde Stunden im schmalen Mittelgang verbringen kann.

Ab hier gibt's keine motorisierten Fahrzeuge mehr - der Eintritt nach Zhouzhuang erfolgt stilgemäß.

Der Ort ist ein "Wasserdorf". Folglich bewegt man sich dort hauptsächlich mit Booten.

Auch heute noch sind 60 Prozent der Häuser aus den Ming- oder Qing-Dynastien - also bis zu 700 Jahre alt.

Touristische Bootsfahrten erinnern sehr an Venedig. Und die "Gondoliere" singen sogar - nur sind es halt alte chinesische Weisen, die vorwiegend von älteren und alten Damen vorgetragen werden.

Neben einer pittoresken Mischung aus antiken Häusern, Brücken, Villen und liebevoll gestalteten Museen, gibt es auch herrlich friedliche Gärten ...

... und einen berühmten taoistischen Tempel, der aus der Song-Dynastie stammt, also fast 1.000 Jahre alt ist. Lustig, dass selbst die damaligen Heiligen gewisse Handzeichen schon kannten.

Traditionelles Handwerk aller Art ist noch lebendig in Zhouzhuang - so kann man Holzschnitzern, Webern, Korbflechtern, Kalligraphen und auf Wunsch auch Häuselfrauen bei der Arbeit zusehen. Die Produkte sind dann natürlich auch käuflich zu erwerben. (Außer die Häuseln.)

Auch die schönen Künste kommen nicht zu kurz: Sei es traditionelle Musik in stilvollen Teehäusern ...

... oder die etwas schwer verdaulichen Darbietungen der lokalen Variante chinesischer Oper - präsentiert auf der restaurierten, antiken Freiluft-Bühne.

Schließlich gibt es mannigfaltige, ausgesprochen kreative Varianten, sich mit traditionellen Süßigkeiten den Magen zu verkleben. Das hier ist eine opalisierende Zuckermasse, die man mit Hilfe zweier Stäbchen in hübsche Formen ziehen kann, bevor man sie vertilgt.

11 Kommentare:

rudolfottokar hat gesagt…

ätsch - heut bin ich der erste...
das schaut alles super aus - so wie sich eben der kleine maxi (also ich) china vorstellt...
war sicher ein schöner tag für dich!
(übrigens: es heißt "marchfeld"... sorry)

ClemmieInChina hat gesagt…

ups ... naja ... bin ja in china ... da kann schon mal ein "r" unter den tisch fallen *harhar* ;).

und ja, das war wirklich ein schöner tag :). und ich hab nix gelernt. jetzt heißts, das schlechte gewissen unterdrücken.

Anonym hat gesagt…

Yeah - HISTORY!!! *G*

ClemmieInChina hat gesagt…

Genau. Was fürn Nikerl :)

Anonym hat gesagt…

Oiso Foigendes:
Das Marchfeld ist mitnichten eine Stadtausfahrt, die unter Schutthalden versinkt.
Nua dass des amoi xogt is bidde.

Ansonsten bin ich wie üblich sehr angetan von Mut und Fotos. :)

ClemmieInChina hat gesagt…

Na eeeeh nicht - offenbar klärte ich nicht genug! Ich schrob doch: "wie das Marchfeld MIT Schrotthaufen". Womit ich meinte: Wie das Marchfeld (also flach und agrikulturell) - nur halt mit Dreck.

Wieder versöhnt, liebe Tochter des Flachlandes? :)

Und danke. Wie üblich. So viel Lob. Das wird mir abgehen, wenn dann das unvermeidliche kreative Tief mit voller Macht zuschlägt :D.

(gpvemp. Find ich schön :)

Anonym hat gesagt…

Na, einigermaßen. *grmbl* ;)

Ja, suhl dich drin, solanx noch geht und genieß dein Kreahoch! *g*

yovax!
S.-

Martin hat gesagt…

also das ist mal eine wirklich reizvolle seite von china. ist vielleicht doch einen besuch wert?

so zur orientierung: ist das "örtchen" von seiner größe her eher mit venedig zu vergleichen oder eher mit lanzendorf?

ClemmieInChina hat gesagt…

Ja gell?.

Naja ... definitiv eher mit Lanzendorf ;). Ein bisschen größer allerdings. Und dann hat's mehr Wasser und mehr Chinesen :).

Anonym hat gesagt…

Mutig, mutig! Aber nur so lernt man(n) Land und Leute wirklich kennen. Deine Schilderung hat fast was von Zeitreise oder Universensprung an sich. Ich hoffe, du unternimmst noch mehr dieser interessanten Exkursionen - dank der Bebilderung ist das besser als ein Roman :)

ClemmieInChina hat gesagt…

danke, danke :).

hab unbedingt vor, mehr davon zu machen - allerdings hab ich so viel zu tun, dass ich hoffe, überhaupt die zeit zu finden :P. naja, so wochenend-dinge gehen auf jeden fall ...