Montag, 6. Juli 2009

öhm ...

... ja, ich weiß, was ich so salbungsvoll verabschiedungstechnisch schrob - und ich weiß auch, ich bin inkonsequent. Aber das schöne an meiner Inkonsequenz ist doch, dass ich sie so rigoros durchziehe.

Also:

"McGyver ist blöd" oder "Mini-Manderln in Xuzhou"

Diese zwei Ereignisse der letzten zwei Tage bewegen mich dazu, doch noch einen Blog-Eintrag nachzuschießen. Denn wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Und wenn dieser eine dann auch noch ich bin, dann wird umso mehr erlebt. Nicht unbedingt Grandioses, dafür aber garantiert Dämliches.

Und das kam so:

Ich habe ja meine große Nordreise aus nostalgischen Gründen stark verkürzt und werde jetzt anstatt zur nordkoreanischen und sibirischen Grenze vorzudringen mich mit den südlicheren Provinzen Jiangsu und Shandong begnügen, und zwar weil ich diese in einer Woche recht bequem bereisen und sodann meinen Chinaaufenthalt noch mit einem würdigen, dreiwöchigen "Urlaub" in Shanghai beenden kann.

Als erstes Ziel erwählte ich Xuzhou. Dieses kleine Städtchen im äußersten Nordwesten von Jiangsu, 700 Kilometer entfernt von Shanghai, ist wieder einmal in keinem Reiseführer verzeichnet, und es scheint, als wäre auch noch nie jemand hingereist. Deswegen, und weil es ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf meiner Fahrt nach Shandong ist, beschloss ich, dorten zwei Tage zu verweilen.

Es ging diesmal nicht alles ganz so glatt wie gewohnt, aber ich werde Euch hier nicht mit "Was-habe-ich-doch-für-ein-Pech"-Geschichten von ausverkauften Tickets, endlosen Anstellzeiten oder unfassbar heißem Wetter langweilen.

Nein, das kann ich besser.

So kam ich also gestern um 20 Uhr in Xuzhou an, einer auf den ersten Blick sympathischen, extrem lebendigen kleinen Stadt. Da ich von der fünfstündigen Zugfahrt und einer zweistündigen Unterhaltung mit einem kleinen chinesischen Buben (Hauptthema: "Transformers 2" - auf chinesisch, wie ich lernte: 变形金钢) ausgesprochen müde war, fiel ich gleich ins erste Hotel in Bahnhofsnähe. Dieses hatte durchaus eine gewisse Patina, war dafür aber auch recht günstig.

Was gibt es schöneres, als nach einer langen Reise bei unglaublich schwüler Hitze eine lange Dusche zu nehmen?

Und was gibt es spannenderes, als danach festzustellen, dass die Schnalle der Badezimmertüre abgebrochen ist und die Türe sich folglich nicht mehr öffnen lässt? Dabei sperre ich prinzipiell nicht zu ... muss aber zugeben, dass ich auch nicht jede Türe vor dem normalen Zumachen auf Funktionsfähigkeit überprüfe.

So stand ich dann also in diesem 3-Quadratmeter-Zimmerchen bei 40° Innentemperatur und konnte während der zwei Stunden des Eingesperrtseins dem Sauerstoff beim Verschwinden zuriechen. Natürlich war ich nicht untätig: Zunächst mit bloßen Händen und Füßen, dann mit allem, was mir zur Verfügung stand (Zahnbürste, Plastikkamm, Seife) versuchte ich, die Türe aufzubrechen - erfolglos. Mir ist klar, dass McGyver aus diesem Zubehör mindestens einen Kurzwellensender oder einen Bulldozer konstruiert hätte. Alles, was ich mit der Zahnbürste zusammenbrachte, war hingegen, mir meine Zähne zu putzen. (Auch sehr wichtig. Man sollte Karies nicht unterschätzen.)

Schweißüberströmt und splitternackt begann ich also den demütigenden Akt des mit-beiden-Händen-gegen-die-Türe-Pumperns, und gleichzeitig um Hilfe zu rufen. Weniger, weil ich wirklich von Panik erfüllt war, sondern eher, weil ich nicht 15 Stunden in diesem fensterlosen, stickig-heißen, winzigen Raum verbringen wollte, bis mich eine eventuelle Putzfrau des Morgens vielleicht fände.

Es ist einem mittleren Wunder zu verdanken (oder meiner kräftigen Stimme), dass mich in dem isolierten Extragebäude, in dem ich einquartiert bin, überhaupt jemand hörte. Doch dem war so. Aus dem Badezimmer heraus erklärte ich der Hotelangestellten schreiend das Problem, woraufhin sie den eine bunte Schar an Mechanikern zusammentrommelte. Spannend ist an dieser Stelle, dass man hier in Xuzhou offenbar einen ganz interessanten Dialekt verwendet, der eine Mischung aus südlichen und nördlichen Charakteristiken aufweist, jedenfalls aber ausgesprochen unverständlich sein kann. Und Inhalte wie "Jetzt schräg rechts nach oben ziehen und gleichzeitig rütteln" verstehe ich offenbar schon gar nicht.

Trotzdem schaffte es das Handwerkergrüppchen nach einiger Zeit, die gesamte Schnalle samt Schloss von außen auszubauen und die Türe zu öffnen.

Da stand ich nun in paradiesischer Nacktheit und durfte mir typisch chinesische Scherze über meine Körperbehaarung anhören und darüber, wie lustig das ganze doch wäre.

Zugegeben ... nach einer Sekunde Erleichterung und einer weiteren Sekunde Ärger musste ich dann mitlachen. Wer bin ich denn, dass ich solch vollkommene Situationskomik nicht würdigen dürfte?

Den Rest des Abends wollte ich mit einem entspannenden Spaziergang verbringen, was von sintflutartigen Regenfällen verhindert wurde, die justament begannen, als ich aus der Türe trat. Zusätzlich vergaß ich noch meinen Schlüssel im Zimmer sowie das Aufladen meines Fotoapparates. Außerdem lag das diesmal wohlmitgebrachte Schweißtuch sicher im Zimmer und ermöglichte mir so, die chinesische Allgemeinheit durch exzessives Schwitzen zu erheitern. (38° bei 120% Luftfeuchtigkeit sind das schlimmste Wetter, das ich mir vorstellen kann.) Aber das war peripher - die Freiheit hatte mich wieder, und ich konnte immerhin sogar ein Zugticket nach Yanzhou erstehen. In dieses Städtchen der Provinz Shandong möchte ich nämlich morgen fahren, um den dort ganz in der Nähe liegenden Geburtsort Konfuzius' zu besuchen, bevor es weitergeht in die Hauptstadt Jinan, wo ich wiederum zwei österreichische Freundinnen treffen werde.

Und heute? Ja ... heute fand ich heraus, dass Xuzhou vor 2.000 Jahren die Hauptstadt der mächtigen Han-Dynastie war, und dementsprechend die größte und wichtigste archäologische Anlage aus dieser Zeit in ganz China beherbergt. Zusätzlich übrigens noch eine Terracotta-Armee aus tausenden Figuren - ähnlich derer in Xi'an, nur dass die Soldaten viel kleiner (und herziger) sind. Weil das aber niemand weiß - und es Reiseführer wie Lonely Planet auch nicht einmal einer Erwähnung wert finden - war ich bei der heutigen Besichtigung dort praktisch alleine. Besonders das gigantische unterirdische Mausoleum des ersten Han-Kaisers gehört zum Großartigsten, was ich bisher in China gesehen habe. Die Abwesenheit anderer Touristen und jeglicher Keiler machte dieses Erlebnis umso beeindruckender - und bestätigte mir einmal mehr, dass für mich das Fahren ins Unbekannte dem Abklappern berühmter Sehenswürdigkeiten hundertmal vorzuziehen ist.

Ich liebe China. Nur seine Badezimmer mag ich jetzt nicht mehr so gerne.

10 Kommentare:

rudolfottokar hat gesagt…

na bitte, geht doch!
konsequent sein is eh fad.
darfst ruhig noch von deinen weiteren erlebnissen berichten. auch wenn nach deinem offiziellen abschied vielleicht nicht mehr so viele gneißen, dass da was neues steht.
viel spaß noch und pass auf dich auf!
lizerach - sag ich nur...

Etosha hat gesagt…

Die Hoffnung stirbt zuletzt! Ich streich doch deine URL nicht aus meiner täglichen Blogrunde, nur weil du behauptest, du schreiberst nix mehr! ;)

Und der ausführliche Bericht ist der Kurznotiz bei mir drüben natürlich vorzuziehen.

Tja, Körperhaare machen stark! Ein nackiger Chinese hätts niemals nicht geschafft, die Türschnalle abzubrechen! :)

Fröhliches Weiterschmelzen wünsch ich!

_mathilda_ hat gesagt…

Schön, dass du weiterschreibst :) Auf dieses kleine Fünkchen Hoffnung setzend hab ich dein Blog auch auf meiner Liste gelassen - und wurde nicht enttäuscht.

Es kann nicht jeder McGyver sein. Wär ja auch übel, wenn du alles könntest - die eine oder andere Schwäche musst du ja auch zeigen. Und es beruhigt mich, dass anderen auch kleine Pannen passieren, sonst würd ich mich total allein fühlen. Allerdings hab ichs noch nicht geschafft, mich selber irgendwo einzusperren. Aber ein paar Jährchen an Erfahrung mit Murphys Gesetz hast du mir ja voraus.

Anonym hat gesagt…

hahaha! lustig, weidermal - es geht also doch noch weiter: SCHÖN! lg kathi

Anonym hat gesagt…

Fantastisch!!! :-P

unterwegs hat gesagt…

Dein „ich bleib noch ein Monat“ hat mich hoffnungsfroh wieder reinschauen lassen - schön, dass ich nicht enttäuscht wurde :-)
Im Gegenzug hab ich heut eine Anregung für Dich: Vielleicht könnte die Mitnahme eines Handtuchs Deine Abneigung gegen chinesische Badezimmer mildern? (Nicht, dass ich dem Handwerkertrüppchen den paradiesischen Anblick missgönnte, ich mein nur.)

_mathilda_ hat gesagt…

Na,unterwegs, ich vermute, nochmal wird das nicht passieren, allein schon, weil jetzt quasiparanoid die Tür geprüft werden wird, bevor sie ins Schlos gezogen wird. Aber man weiß ja nie, wofür Handtücher in Badezimmern sonsst noch so gut sind :D Und ich bin schon gespannt, was sich Clemens zu unserer Erheiterung sonst noch so einfallen lässt :D Ach, Clemens, ist das sowas aus der Rubrik "Das hab ich nur gemacht, damit ich im Blog was zu erzählen hab"? *sfg*

sep-ing hat gesagt…

Üblicherweise erwartet ja das Publikum bei außergewöhnlichen Darbietungen von den Künstlern immer Zugaben. Schön, dass auch Du Dich daran hältst. Wir freuen uns darüber. - Noch viele schöne Tage und Erlebnisse.

Anonym hat gesagt…

falls dieses tatsächlich dein letzter blog-eintrag sein sollte (was ich nicht hoffe), so wäre es doch wirklich ein würdiger abschluss :-)
liebe grüße
josi

ClemmieInChina hat gesagt…

Viiiielen Dank *verbeug* - die Showbühne ist mein Leben ]:D.

Der Vollständigkeit halber sollte ich erwähnen, dass es in diesem Badezimmer tatsächlich ein Handtuch gab. Dieses hatte allerdings die Größe eines Stofftaschentuchs, und somit war mein Anblick zwar jugendfrei, aber deshalb um nichts weniger jämmerlich *G*.