Sonntag, 7. Juni 2009

Aha! - Wissenswertes zur chinesischen Schrift, Teil III

Hallo Kinder!
Jetzt beruhigen wir uns langsam, stellen das Schwätzen ein und finden bei dieser Gelegenheit auch gleich unsere innere Mitte. (Irgendwo in der Nähe der Leber, Hinw. d. A.)

Richtet nunmehr also Eure geschätzte Aufmerksamkeit wieder ganz alleine auf mich, da das erstens mein Selbstbewusstsein ungemein stärkt, zweitens Euren Chinesischkenntnissen echt gut tut und Ihr – gebts doch zu – sonst eh nix G’scheites zu tun habts.

Ich habe das letzte Mal um Haaresbreite die Diskussion der dritten und letzten Klasse an Schriftzeichen vermieden. Dies war ausgesprochen raffiniert von mir (und ich könnt mich selbst dafür umarmen, aber andererseits lege ich großen Wert auf meinen persönlichen Freiraum und lasse mich sicher nicht von jedem dahergelaufenen – und momentan auch noch ziemlich verschwitzten – Ich abknuddeln; ich mein, wo kommen wir denn da hin, wenn ich jedes Mal, wenn ich mich grad sehr mag, gleich sämtlichen Bedürfnissen nach körperlicher Nähe nachkommen würde? CHAOS würde daraus resultieren, sage ich Euch, CHAOS – und vermutlich auch Kreuzschmerzen, weil man sich ja, wenn man sich selbst umarmt und das auch noch ordentlich machen möchte, meistens ein bissl dieses eine Bandl zerrt, das da so links überkreuz schräg vom Schulterblatt den Rücken hinunter …

Wo war ich?

Ach ja, die Klammer muss ich noch schließen …

)

So.

Jetzt aber.

Es war ausgesprochen raffiniert von mir WEIL – und jetzt kommt’s – diese dritte Gruppe an Zeichen die wichtigste, häufigste und auch interessanteste ist. Und so darf ich Euch jetzt die „phonographischen Zeichen“ vorstellen.

Nein, die lesen sich leider nicht selbst vor. Das wäre praktisch, funktioniert aber nicht, da auch die phonographischen Zeichen – bei aller Grandiosität – leider stumme Nüsse sind.

Warum heißen sie dann so? Nun – weil sie sich aus zwei Teilen zusammensetzen.

Ich muss dazu zunächst vorausschicken (pfiati derweil, aber komm net zu spät heim), dass ein chinesisches Zeichen durchaus auch selbst Teil eines anderen Zeichens sein kann, das dann dementsprechend komplizierter aussieht. Tatsächlich kann ein Zeichen sogar mehrere andere als Komponenten enthalten, was dann optisch einen recht gedrängten Effekt („Grallawatsch“ in der Fachsprache) verursacht. Ich werde das dann gleich noch genauer demonstrieren, aber derweil glaubts mir das bitte einfach mal. Bei solchen Dingen lüge ich selten. Das wäre zu simpel.

Jeeedenfalls: Dies bitte KEINESFALLS mit jenem von mir bereits erwähnten Fall zu verwechseln, wenn ein chinesisches Wort aus mehreren Zeichen aufgebaut ist. Das ist etwas ganz anderes und auch sehr wichtiges; aber tatsächlich kann eben auch ein einzelnes Zeichen aus mehreren anderen bestehen. Bei einem phonographischen Zeichen ist genau das der Fall, wobei eine Hälfte das sogenannte „Radikal“ ist, die andere ein Phonetikum. Das Radikal ist enorm wichtig, denn es gibt einen Hinweis auf die Bedeutung des gesamten Zeichens und wird außerdem dazu verwendet, die Zeichen in einer bestimmten Reihenfolge zu ordnen – beispielsweise in einem Wörterbuch. Das Phonetikum gibt hingegen einen Hinweis auf die Aussprache.

Ich erklär das mal an Beispielen.

Sehet dieses wunderschöne Zeichen:



Jajaja, ich weiß schon: ein unheimlich kompliziertes Krixi-Kraxi, das man wahrscheinlich wie Tsching-Tschang-Tschung ausspricht.

Doch sehen wir etwas genauer hin.

So, und jetzt bewegen wir die Nase wieder ein Stücki weg vom Bildschirm, weil sonst sehen wir nur Pixel, und das hilft uns auch nicht weiter. Ich meinte das mit dem „genau schauen“ eigentlich nur figurativ, denn ich werde nun in meiner unendlichen Weisheit dieses Zeichen für Euch Dumpfbacken (vgl. Beatboxen) da draußen mal ein bisschen analysieren.

Also. 想 besteht eigentlich aus drei unabhängigen, vollständigen Zeichen, nämlich: 木,目 und 心. Sie haben die Bedeutungen „Baum“, „Auge“ und „Herz“. (Jedes davon für sich genommen übrigens ein Piktogramm.) Nun sind 木 und 目 bereits zu einem neuen Zeichen zusammensetzbar, nämlich 相. Und gute Beobachter sehen schon: a-HA! (Daher auch der Name dieses Kurses) Das ist ja die obere Hälfte von 想, während das Zeichen für Herz 心 die untere Hälfte bildet.

Und das ganze ist dann ein wunderbares Beispiel für ein phonographisches Zeichen. Das Herz ist hier nämlich das Radikal. Es zeigt an, dass die Bedeutung des Gesamtzeichens etwas mit Gefühlen bzw. Eindrücken zu tun hat. Die andere Hälfte ist das Phonetikum. Wenn man weiß, wie 相 ausgesprochen wird, dann hat man auch eine ungefähre Ahnung, wie das Gesamtzeichen klingt. In diesem Fall ist das super: 相 lautet “xiang“ und 想 ebenfalls „xiang“.

Paaasst!

Leider ist es nicht immer so einfach, denn die Aussprache der Zeichen hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, und so kommt es häufig vor, dass ein Phonetikum „Zhao“ auf eine Aussprache von „Kou“ hinweist, oder ähnliche Spompanadeln (<= Wie schreibt man das eigentlich?)

想 bedeutet übrigens „denken, wünschen, sich sehnen“ – der Bedeutungshinweis des Radikals ist generell deutlich verlässlicher als der Aussprachehinweis des Phonetikums.

Ich könnte Euch jetzt hier noch mit Beispielen ins Koma erklären – denn es gibt natürlich zigtausende davon, und die über 200 Radikale können innerhalb des Zeichens sowohl unten als auch links stehen und dabei auch noch ihr Aussehen verändern – aber ich will meine viereinhalb LeserInnen gerne noch ein Weilchen behalten, deshalb belasse ich es mal dabei.

Und widme mich einem Thema, das wesentlich unterhaltsamer ist: dem Pumukl.

Hihi, war nur Spaß – ich mach eh mit Chinesisch weiter.

Aber mit etwas, das weniger theoretisch und ganz viel lustig ist. Find ich halt. Und zwar sind das jene Zeichen, die irgendwie in dieser Klassifikation keinen Platz finden, uns Westler aber üblicherweise königlich unterhalten.

Auch sie setzen sich aus zwei (oder mehr) für sich existierenden Schriftzeichen zusammen. Sie kombinieren aber deren ursprüngliche Bedeutung zu einer neuen – was manchmal ausgesprochen originell, witzig und überraschend sein kann. Sehr oft bietet dies auch Gelegenheit, etwas über die chinesische Art zu denken, die Kultur und die Geschichte zu lernen.

Aber wer will das schon.

Also präsentiere ich hier einfach zum Abschluss ein paar der lustigsten:

木 - Baum
林 – kleiner Wald
森 – großer Wald

火 – Feuer
炎 – heiß
焱 – sehr heiß

Und jetzt noch raffinierter:

好 – links: Frau, rechts: Sohn => insgesamt: „gut“

安 – oben: Dach, unten: Frau (vgl. voriges Zeichen) => insgesamt: „Friede“

忙 – links: Herz, rechts: sterben => insgesamt „vergessen“ (Anm.: Chinesen hielten früher das Herz für den Sitz des Gedächtnisses)

盲 – oben: sterben, unten: Auge => insgesamt: „blind“

… und unendlich viele weitere solche Beispiele. Solchen herrlich logischen bzw. sogar richtig unterhaltsamen Zeichen zu begegnen, gehört für mich zu den größten Freuden des Chinesisch-Lernens. Die zweitgrößte ist es dann, in China-Lokalen blöde Kommentare über Westler zu verstehen und mich dann auf Chinesisch rächen zu können.

Aber das gehört woanders hin.

Soll ich noch einen Teil schreiben? Ich könnte mich noch ein bisschen vom einzelnen Zeichen zum chinesischen Wort hochhangeln und vielleicht auch noch ein winziges bisschen den Horror vorstellen, der die chinesische Grammatik ist.

Oder ich lass es. Wie’s wollts. Ich bin ja nicht so.

11 Kommentare:

_mathilda_ hat gesagt…

Da ich ausnahmsweise mal grad nicht arbeite, komme ich wohl nur in den genuss des komischen Krixikraxi, wenn ich Etoshas Lösungsanleitung folge. Ich überleg noch...

Generell klingt das auf alle Fälle neben lustig (weil so geschrieben) auch interessant (wenn auch komplex), und ich würd gern mehr drüber wissen. Was das Behalten der Leser anlangt [wer qualifiziert übrigens als halbe/r Leser/in?]: wens nicht interessiert, der muss ja die Ausführungen nicht lesen! Wnd du, Clemens, kannst ja für die weniger Wissbegierigen ein Klogschichterl schreiben. Oder so.

Im Übrigen würd ich "Spompanadln" vorschlagen, wenn schon ein Dialektwort orthographisiert werden soll. Nachdem in Ostösterreich eh so gnuschlt und an Vokalen gspart wird, würd ich kein e schreiben. Aber das ist nur mein persönliches Empfinden, keine linguistisch untermauerte Tatsache.

_mathilda_ hat gesagt…

Korrigiere: an entsprechender Stelle W=U

rudolfottokar hat gesagt…

erstens:
es wird mir immer rätselhafter, wie man sowas überhaupt lernen kann.
aber auch interessanter.
zweitens:
du musst zwischen lesern und kommentierern unterscheiden.
erstere sind weitaus zahlreicher als du vielleicht annimmst ;-)

Anonym hat gesagt…

vergessen = "oben sterben, unten herz" - das, was dort zu lesen ist, ist ja dennoch nur deren synonym für stress haben. passt halt auch irgendwie.

krieg ich jetzt einen keks?

ClemmieInChina hat gesagt…

@mathilda: und? geschafft? wär dieses mal richtig schad, wenn du's nicht sehen würdest. danke auch für den linguistisch fundierten spompanadl-hinweis ^^

@rudolfottokar: das klingt hier komplizierter als es ist, weil's so theoretisch ist. eigentlich muss man nur die zeichen, deren aussprache und übersetzung auswendig lernen.

@anonym (Ulli?): meine güte, ist mir das peinlich! hast natürlich vollkommen recht: 忘, also oben sterben und unten herz ist "vergessen". was ich geschrieben habe ist "gestresst sein". aber auch interessant ^^.
keks kriegst keinen, aber einen goldenen stern pick ich dir auf die stirn, wennst magst *g*.

Anonym hat gesagt…

nein, bin keine ulli. bin waschecht anonym! =) aber vielleicht sind wir uns schon mal anonymerweise übern weg gelaufen, gehör zur uni-wien-sinologie-spezies. sara, übrigens *handhinstreck* ;) beim dritten comment muss ich wohl langsam anfangen, höflich zu sein.

und danke für den stern!

ClemmieInChina hat gesagt…

ach DU bist das! eine waschechte Anonyme *staun* Sehr erfreut ... bin der Clemens *hand.schüttel*.

Und danke für die aktive Mitarbeit^^. Freut mich sehr, hier drin neue Leute ... öhm ... kennenzulernen.

Etosha hat gesagt…

Jajajaaa! Der viereinhalbte Leser will noch mehr, jawohlja! Warum geht bloß sonst niemand auf den erschütternden Hilfeschrei des Autors ganz unten ein? ;D

Ich find die zusammengesetzten Zeichen besonders spannend. Davon würd ich gern noch mehr sehen. Und kannst ruhig ins Detail gehen, zumindest was mich betrifft - i find des supa! Weil: Es kann einem irgendwer ja viel erzählen. Aber wenn einer das glernt hat, is das gleich was anderes. (Und ob der plötzliche Herztod einen nun ob des Stresses oder ob des Vergessens ereilt, is doch blunzn. *lach!*)

rudolfottokar hat gesagt…

nur damit sich niemand wundert...
bedingt durch urlaub kann ich in den nächsten 2 wochen leider nix kommentieren...
;-)

sep-ing hat gesagt…

Wir kommentieren selten (stört Dich das wirklich?), lesen aber nach wie vor regelmäßig und sehr interessiert Deine Ausführungen. Und wir waren sehr froh, dass vor einiger Zeit nicht der ganze Blog, sondern letztlich nur die Fotos gesperrt wurden. Es wäre uns echt abgegangen Deine gescheiten und lustigen und auch so unmittelbaren Erlenisberichte zu lesen.

Etosha hat gesagt…

Viel Spaß, rudolfottokar! Gute Erholung! Und stell nix an! ;)