Wie schon angedeutet, habe ich den Satz "Ein Mann, ein Wort" zu meinem Lebensmotto gemacht. An ebendieser Stelle tönte ich noch vor Beginn meiner Sichuan-Expedition, diese zu keiner solchen werden zu lassen, sondern wegen der enormen Menschenmassen-Reisezeit brav in Chengdu zu bleiben, und diese doch große Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten genau unter die Lupe zu nehmen.
Nun ja.
Die Folge dieses lobenswerten Vorsatzes war natürlich ein unwiderstehlicher Drang, aus der Stadt rauszukommen - und zwar so schnell wie nur irgend möglich. Zu meiner Freude (und Überraschung) war dies auch problemlos möglich, da die Menschen in China zwar zum Frühlingsfest wie die Heuschrecken reisen, aber offenbar nicht so sehr auf Kurzstrecken.
Leshan: Ein Mordstrumm Buddha ist kaum zu findenSo führte mich bereits am zweiten Tag mein Weg zur südlichen Long-Distance-Bus-Station. Das ist übrigens einer netten Dame in einer Bahnticket-Vorverkaufsstelle zu verdanken, die sich weigerte, mir ein Zugticket nach Leshan zu verkaufen, weil das - wie sie meinte - zu umständlich wäre. Ich solle doch lieber mit dem Bus fahren.
Und recht hatte sie: In Leshan GIBT es nämlich gar keine Zugstation! Das Tolle daran: Tickets dorthin werden trotzdem verkauft. Obwohl allerdings zwar der Name der kleinen Stadt auf der Fahrkarte steht, hält der Zug tatsächlich in einer anderen Stadt, 40 Kilometer entfernt. So gefinkelt sind die Chinesen!
Ich jedenfalls stand am Folgetag um 7 Uhr auf. (Um 7 Uhr! Ich!! Freiwillig!!!) Dunkel war's, kalt - und natürlich dickster Nebel, wie immer, wenn ich mich auf meine geliebten Reisen durch's chinesische Hinterland begebe, um möglichst viel von der Landschaft mitzubekommen.
Als ich dann so herumstand im Warteraum der Busstation - mit dem erfolgreich gekauften Ticket in der Hand - und mir etwas Sorgen machte, weil ich kein Rückfahrticket erstehen konnte, fragte ich einfach mal aus Jux und Tollerei einen etwas nervös wirkenden Angestellten der Busgesellschaft, wo und wann denn mein Bus losfahren würde. So erfuhr ich auch, warum der gute Mann so nervös war: Der ganze Bus wartete nur noch auf mich, denn er wollte eigentlich ganz gerne losfahren. Ich fühlte mich geschmeichelt: Ein ganzer Bus! Wartet! Auf mich! Das ist nett.
Nun, "ganzer Bus" ist in diesem Fall ein bisschen hochtrabend, denn es handelte sich um ein Fahrzeug mit einer Gesamtkapazität von genau sechs Leuten, deren einer ich selbst war. So zwänge ich mich also in den Winz-Bus, und los geht's. Während der 150 Kilometer langen Fahrt studiere ich meinen treuen Lonely Planet Reiseführer und finde heraus, dass der größte Buddha der Welt - die wichtigste Sehenswürdigkeit in Sichuan - tatsächlich nicht so wirklich genau in der Stadt Leshan ist, sondern *misst.mit.den.Fingern.auf.der.Karte* (eins, zwei, ...) etwa drei Kilometer außerhalb. Das kann ja kein Problem sein - da fahren wir einfach rein nach Leshan, dachte ich, schauen uns die Busstation an, dachte ich, kaufen dort gleich ein Rückfahrticket, dachte ich, und dann spazieren wir die drei Kilometer bis zum Buddha. Dachte ich.
Nun.
Chinesen tendieren leider dazu, immer genau dann fürchterlich hilfsbereit zu sein, wenn das nur zu Verwirrung führt. Mein Busfahrer war ein solch hinterhältiger Typ. Fragt der Mann doch jeden einzelnen seiner Insassen, wo er oder sie denn gerne aussteigen würde - anstatt einfach zur zentralen Busstation zu fahren! Eine Frechheit. Ich sage dann halt, ich würde mir gerne den großen Buddha anschauen - und ein mitreisendes chinesisches Pärchen will das auch. Außerdem glaube ich zu verstehen, dass die beiden nach erfolgter Besichtigung auch gerne wieder nach Chengdu zurückwollen. Das ist gut, da kann ich mich dranhängen.
Nachdem wir also die (angeblich) wunderschöne Landschaft von Sichuan in einem Nebel durchmessen hatten, der dick genug war, um mir gerade noch den Blick nach vor zu meinem Brillenglas zu ermöglichen, fährt der Busfahrer nach Leshan hinein, auf der anderen Seite wieder heraus - und dann jene 15 Kilometer, die der große Buddha tatsächlich außerhalb der Stadt liegt. Tja, auf die Pläne im Lonely Planet ist eben Verlass. "Und was mach ich jetzt
bitte?" frage ich mein inneres Auge (die taube Nuss), "wie komm ich von hier draußen jemals wieder nach Leshan - geschweige denn zurück nach Chengdu? Muss ich hier etwa elendiglich verhungern?"
Egal, da ist ja dieses Pärchen, die wollen das ja auch. Also - nicht verhungern, sondern zurück nach Chengdu.
Soooviel zu meinem chinesischen Hörverständnis; denn als ich den beiden strahlend eröffne, dass sie das Glück hätten, mit mir gemeinsam nach Chengdu zurückzufahren, antworten sie mit freundlicher Verwirrung, dass sie dieses gar nicht zu tun gedenken.
Wie dem auch sei, ich habe jenes - wie sich herausstellt - riesige Gebiet erreicht, auf dem nicht nur der große Buddha steht, sondern auch ganz viele andere Statuen und Heiligtümer.
Um das ganze abzukürzen: Ich schaffe es, mich zunächst im Park zu verirren und den großen Buddha gar nicht zu finden - danach komme ich von ihm dafür gar nimmer weg: Wo auch immer ich hingehe, schon nach kurzer Zeit sehe ich wieder der Riesenstatue linkes Ohrläppchen vor mir (das immerhin 3 Meter lang ist).
Das Heimkommen ist dann überhaupt insgesamt recht abenteuerlich. Aufgrund des schlechten Wetters habe ich die einmalige Erfahrung, praktisch alleine diese Stätte zu besichtigen, von der ich von Fotos weiß, dass sich üblicherweise Menschenmassen durch sie hinwegwälzen. Dadurch habe ich allerdings auch Mühe, Menschen zu finden, die ich nach dem Ausgang fragen kann. Das schaffe ich aber dann doch - und stehe also kilometerweit außerhalb von Leshan im Nichts.
Zum Glück gibt's da draußen aber eine alte Dame. Auf meine Frage hin, wie ich denn nach Chengdu käme, holt sie einen älteren Herrn. Dieser kennt einen weiteren älteren Herrn, der mich wiederum einem jüngeren Herrn vorstellt. Und der setzt mich auf sein Motorrad.
Als ich dann also kurze Zeit darauf - selbstverständlich ohne Sturzhelm - auf einem Motorrad mit etwa 130 km/h durch die chinesische Pampa düse, Tränen in den Augen vom Fahrtwind, bin ich relativ gespannt, wo mich der Gute denn eigentlich hinbringt. Wenn ich ihn recht verstanden habe, zu einer Busstation. Gut wär's, die gesamten 150 Kilometer nach Chengdu halte ich so jedenfalls nicht aus. Und tatsächlich: Nach zehn Minuten Fahrt stehe ich im noch wilderen Nirgendwo, aber neben einer Busstation. Dort smalltalke ich mit meinem Fahrer, der sich sehr für mein Heimatland interessiert - bis der Bus kommt, in dem ich ein Ticket kaufe, das um einiges billiger ist als für die Herfahrt. Und das war's. Bezahlt habe ich dem freundlichen chinesischen Biker für den Transport nichts - aber nachgewunken hat er mir noch. Im Bus verkaufen mir dann noch einige alte Bäuerinnen etwas zum Essen - irgendwelche in Bambus gewickelten Klebereistaschen mit Fleischfüllung - und mir geht's eigentlich ziemlich gut.
Und hat sich meine kleine Reise ausgezahlt? Das kann man aber laut sagen! Der gesamte Park ist großartig - und der 71-Meter hohe Buddha ist absolut atemberaubend.
Aber sehet selbst:
Die gesamte Anlage, wo der Große Buddha steht, ist riesig - mit Unmengen an Statuen, Höhlen, Tempeln und sonstigen buddhistischen Heiligtümern. Und ihr stolzes Alter von 1.300 Jahren sieht man ihnen wirklich nicht an.
Besonders nicht diesem freundlichen, heiligen Herrn, der sein Bäuchlein auch nach so langer Zeit ganz offensichtlich noch sehr zufrieden vor sich herschiebt. Ich weiß nicht ... die Buddhisten haben schon mehr Spaß mit ihren Heiligenbildern als wir faden Christen in Österreich. Könnt ich mir zumindest vorstellen.
Und da ist er dann schließlich: der große Brummer. Auf Fotos kann man leider überhaupt nicht wiedergeben, wie unglaublich riesig der ist. Extrem enge, extrem steile Stiegen (im Hintergrund sichtbar) führen von ganz oben bis ganz unten und auf der anderen Seite wieder rauf - für die gefällige Besichtigung aus jeder Perspektive.
Hier steige ich bereits hinunter (zum Vergleich: ein Mensch ist etwa halb so groß wie das Ohrläppchen) ...
... und schließlich habe ich die Füßchen erreicht. Schuhgröße 578. Nur für die große Zehe.
Von hier überblickt man auch den Min-Fluss - und der sich zu dieser Zeit etwas lichtende Nebel erlaubt mir sogar einen Blick auf die ach-so-nahe Stadt Leshan.
Ya'an: An der Grenze zu Tibet
Schon zwei Tage nach meinem Buddha-Trip reizte es mich, doch einmal möglichst nahe an die tibetische Grenze heranzufahren. Nun gehört der gesamte Westen Sichuans geografisch und kulturell bereits zu Tibet, also konnte ich mit einem einfachen Ausflug von abermals etwa 150 Kilometern in das kleine Städtchen Ya'an an diese Grenze vorstoßen. Noch weiter ist im Winter ohnehin nicht zu empfehlen, da sehr kalt (weil hohe Berge) - und außerdem brauchen die Busse auf den "gefährlichsten Hochpässen der Welt" etwa einen halben Tag pro 100 Kilometer. Nein, nein, das muss nicht sein - ich fahr einfach in den letzten noch locker erreichbaren Ort.
Außerdem schau ich mir so gerne die europäischen Tibet-Reisenden an - zu erkennen an den Rastalocken, Piercings, bunten Pluderhosen (Männer), langen Haaren mit Stirnbändern, bunten Brillen, Birkenstockschlapfen (Frauen) und dem Baby in der Patchwork-Tragtasche am Rücken des Mannes (falls Ehepaar) - in jedem Fall aber mit Backpack, einer Todesverachtung für Gruppenreisende oder Menschen, die in Hotels absteigen, und einer sehr kritischen Haltung gegenüber den "bösen Chinesen" - alles Kennzeichen dieser zutiefst toleranten Menschen.
Davon abgesehen gibt's in dieser Gegend auch schon 7.500 Meter hohe Berge.
Angeblich.
Denn auf meiner Fahrt nach Ya'an treffe ich einen alten Freund: den Nebel. Er ist so freundlich, mich die gesamte Reise zu begleiten - und von eventuellen Himalaya-Vorgebirgen, die da irgendwo liegen sollen, bemerke ich rein gar nichts. Aber dafür sehe ich sehr viel entspannendes Weiß.
Im Ort Ya'an selbst eröffnet sich mir, warum dort niemand hinfährt: Es gibt einfach absolut nichts zu sehen! Aber schon wirklich gar nichts. Na gut: eine ziemlich tolle Brücke, aber ansonsten ist das ein freundliches und völlig normales chinesisch-tibetisches Städtchen. Meine paar Stunden für diverse Spaziergänge reichen dann auch völlig aus - stets begleitet vom mauloffenen Starren der lokalen Bevölkerung, die offenbar noch nicht oft europäische Gesichter gesehen hat. Jedenfalls muss ich mich mehrmals mit mir völlig fremden Familien und Freundesgruppen fotografieren lassen. Ein seltsames Gefühl, nun vielleicht irgendwo als Foto am Kaminsims von diversen chinesischen Familien herunterzugrinsen.
Das einzig sehenswerte in Ya'an: das chinesische Pendant zur Ponte Vecchio. Sichuan hat ja eine 3.000 Jahre alte Teekultur - und dementsprechend ist auch fast jedes einzelne Geschäft auf dieser Brücke ein Teehaus. Ich kaufte dort zwei verschiedene lokale Sorten. Übrigens hervorragend.
"Wenn ich schon nix seh' von der Landschaft, dann marschier' ich wenigstens hinein", dachte ich bei mir und wanderte ein wenig in die Umgebung. Die Vegetation ist anders - aber ansonsten wären die dortigen Bauernhöfe auch in der Südsteiermark nicht undenkbar.
Die lokalen Bauern haben vielleicht blöd geschaut, als auf einmal ein wohl etwas verlegen grinsender, westlicher Tourist inklusive Rucksack und Kartenmaterial mitten durch ihr Gehöft marschierte.
Tibetische Kultur ist in Ya'an allgegenwärtig. Und ich muss gestehen: Ich bereue, bei den Straßenhändlern nichts gekauft zu haben. Was mach ich jetzt, wenn ich gach eine Bärentatze benötige? Zum Glück habe ich im Verlauf meines Aufenthalts zwei sehr nette Tibeter kennengelernt, die mich zu sich nach Hause in Gyatse (Tibet) eingeladen haben. Die kann ich ja im Rahmen des Besuchs fragen, ob sie mir eventuell eine Reserve-Tatze abtreten könnten.
Panda-Butzerln
Wiederum zwei Tage später führte mich ein Pflicht-Ausflug zur größten Panda-Zuchtstätte der Welt.
Die Giant Panda Breeding Research Base liegt einige Kilometer nördlich von Chengdu. Nach einiger Verhandlung konnte ich einen Taxifahrer (ja, ich fand einen) dazu überreden, für einen Pauschalpreis an diesem Tag mein Fahrer zu sein; denn ich hatte keine Lust, für so einen kleinen Trip eine dieser lähmenden und lärmenden Touren zu buchen.
Unsere zwei Pandas im Schönbrunner Zoo wurden übrigens in dieser Research Base geboren, also war das gewissermaßen ein Verwandten-Besuch.
Die Basis ist viele Hektar groß und bietet den Pandas artgerechte Haltung in Anlagen, die etwa mit Safariparks zu vergleichen sind.
Hier gibt es immerhin 40 Riesenpandas (und einige Rote Pandas) zu bewundern - und der Park selbst ist auch toll gestaltet: mit Museum, der Möglichkeit, die Forschungsstationen zu besichtigen, Dokumentarfilmen, hübschen Spazierwegen - und der größten Attraktion ...
... der Babystation. Während sich in Wien Menschenmassen um einen raschen Fernblick auf Fu Long prügeln, stand ich hier eine halbe Stunde alleine etwa 10 Zentimeter entfernt von sieben Pandababies, die wie die Wahnsinnigen herumtollten, kletterten und spielten. Fotografieren konnte ich nur diese drei müden Bärlis, weil die ruhig genug hielten, um bei den schlechten Lichtverhältnissen ein Foto zu ermöglichen.