Aber ich schweife ab - so viel gibt's über Sichuan zu sagen, dass hier einfach nix weitergeht. Also: das Erdbeben. Letztes Jahr wurde ja diese Provinz von einem der stärksten Erdbeben erschüttert, die man in China seit langem erlebt hat. Chinas Regierung überraschte in diesem Zusammenhang mit ausgesprochen offener Berichterstattung über das gesamte Ausmaß der Katastrophe und mit intensiven Hilfsmaßnahmen.
Ray (rechts) und das übrige Personal des "Softtone" Pubs entpuppten sich als reichhaltige Quelle für Informationen über Sichuan und China, die in keinem Reiseführer stehen.
Interessant beispielsweise, dass in Rays Schule der Sexualkunde-Unterricht getrenntgeschlechtlich stattfindet und immer nur das jeweils eigene Geschlecht gelehrt wird. "So müssen wir alles selbst herausfinden", meinte Ray mit etwas unglaubwürdiger Kummermiene.
Die Sache mit den Sichuanesischen Taxis
Bevor ich nun gleich einen eher unlustigen aber dafür optisch ein-Hammer-seienden Bilderreigen der größten Sehenswürdigkeiten der Stadt Chengdu über meine wehrlosen LeserInnen ergieße, gibt es noch eine letzte Besonderheit, die zu erwähnen auch im Hinblick auf mögliche künftige Reisen seitens der KonsumentInnen dieses Blogs nicht uninteressant ist: den Verkehr in Chengdu. Und hier ganz speziell die Taxis und Busse.
In sämtlichen anderen chinesischen Städten, die ich bisher besucht habe, braucht man sich nur einmal am Kopf kratzen, um innert Sekundenbruchteilen von dreiunddreißig beförderungswilligen Taxis über den Haufen gefahren zu werden. In Shanghai vermeide ich so gut es geht, bei einem Spaziergang meinen Schritt zu verlangsamen oder meinen Blick Richtung Straße schweifen zu lassen, aus Furcht vor den Massen an Taxis, Dreirädern und Fahrrad-Rikschas, die mir dann sofort den Weg versperren und mich mit allen Mitteln zur Mitfahrt zwingen wollen.
Nicht so in Sichuans Städten. Sei es Chengdu, Chongqing, Leshan oder Ya'an: Einmal alle heiligen Zeiten gurkt in heiliger Ruhe ein einsames Taxi die Straße entlang - und wird sofort in einer symmetrischen Umkehrung der gewohnten Situation von Heeresscharen wildgewordener Fußgänger umzingelt, die unverzüglich mit vollem Körper- und Geldeinsatz in epische Schlachten um den begehrten Fahrgastposten ausbrechen. Und wer einmal Chinesen in vollem Einsatz erlebt hat, der will da nicht in die Quere kommen. Kurz und gut: Auch wenn sich mir der Grund nicht erschließt, Sichuan - und insbesondere Chengdu - leidet an einem verheerenden Taxi-Mangel. Eine Folge davon sind jene unfassbar komprimierten Menschenbündel, die wie von Geisterhand auf Chengdus Straßen dahinwälzen, und nur bei genauer Betrachtung jene hauchdünne Autobus-Hülle preisgeben, die sie gerade noch irgendwie umschließt, stets haarscharf an der Grenze zur Explosion.
Ich bin also viel zu Fuß gegangen in dieser 5-Millionen-Einwohner-Stadt.
Und wie schaut die eigentlich aus?
So:
Der "Tianfu-Platz" im Zentrum der Stadt ist ein klassisch kommunistischer Prunkplatz - von einer Kollossalstatue des Herrn Mao majestätisch überwunken, bietet er moderne Skulpturen, riesige Einkaufszentren, musikuntermalte Wasserspiele gigantischen Ausmaßes - und vor allem viel Platz.
Der 1.000 Jahre alte Wenshu Tempel ist einer der größten und besterhaltenen buddhistischen Tempel der Provinz. Er bietet prächtige Architektur der Tang-Dynastie, die man - ganz China-untypisch - nicht fotografieren darf. Und drumherum gibt's bei Straßenhändlern das übliche Gemisch aus Kunst und Kitsch, das in Sichuan noch ein gutes Stück vielfältiger ausfällt und dem ich daher noch ein eigenes Posting widmen möchte.
Im ältesten und größten taoistischen Tempel der Stadt - dem Qingyang Tempel - soll vor einiger Zeit Lao Tse persönlich einen Freund getroffen haben, der ihn trotz seiner Verkleidung als Ziegenhirte sofort erkannte. Das ist natürlich eine Sensation (wenn auch reichlich seltsam), und deswegen gibt's da heute zwei Statuen von Ziegen. Und eine ganz eigene, friedliche Stimmung. Meiner Meinung nach die interessanteste architektonische Sehenswürdigkeit von Chengdu - ganz besonders, wenn man sich für Taoismus interessiert.
Und deswegen gibt's davon auch ein zweites Bild. So schauen die taoistischen Mönche aus - mit schlichten, blauen Roben, langen Haaren, die - zu Knoten gebunden - aus oben offenen Mützen herausschauen, und langen Bärten. Ziemlich coole Typen. Und verdammt viele, verdammt komplizierte Gottheiten gibt es in taoistischen Tempeln - besonders wenn man bedenkt, dass der Taoismus eigentlich irgendwo zwischen Philosophie und Religion schwimmt.
Übrigens steht momentan natürlich auch in Chengdu alles im Zeichen des bevorstehenden chinesischen Neujahrsfestes. Am 25. Jänner wechseln wir ja vom Jahr des Ratzen in das Jahr des Rindviechs. Auch in den Tempeln ist daher alles festlich geschmückt. (Hier im Wuhou-Tempel. Glaub' ich.)
Ja gibt es denn in Chengdu nur Tempel, höre ich Euch fragen? Mitnichten! Es gibt auch ganz große, ganz alte Erdhaufen! Wie beispielsweise diesen hier, der mit einem großen Eingang versehen ist. Es handelt sich dabei um das Grab des berühmten Generals Wang Jian - das einzige oberirdische Grabmal Chinas, das für seine 1.000 Jahre noch ziemlich frisch aussieht. (Bildlich gesprochen.) Im Inneren kann man die einzige erhaltene Repräsentation einer Live-Band aus der damaligen Zeit bewundern: 24 Musiker mit ihren Instrumenten sind als Statuen erhalten.
Immer wieder peinlich für mich ist auch die Erfahrung, dass zwar jeder Chinese Shakespeare oder Goethe kennt - uns aber selbst Literaten von so gewaltigem Einfluss wie Li Bai oder Du Fu recht chinesisch vorkommen. Letzterer - einer der wichtigsten Dichter der Tang-Dynastie - hat vor gut 1.200 Jahren in Chengdu gelebt, in einem kleinen Strohdachhaus, um das herum ihm die Kaiser nachfolgender Dynastien ein Denkmal in Form eines riesigen Parkes gesetzt haben. Hier der Eingang.
Hier das recht gemütliche Anwesen, das der Dichter selbst gebaut hat. Wäre in der Nähe vom Neusiedlersee auch nicht so falsch am Platze.
Auch einer der wichtigsten klassischen Dichterinnen Chinas hat man in Chengdu ein Denkmal in Form eines Parkes gesetzt: Xue Tao war ganz narrisch auf Bambus, deshalb gibt es in ihrem Park auch Bambuswälder mit über 150 verschiedenen Arten dieses Mega-Grases ...
... und außerdem ein (teils Freilicht-)Museum mit traditioneller Bambus-Kunst.
Sichuan grenzt ja an Tibet, und so gibt es in der Hauptstadt eine lebendige tibetische Community. Viele Geschäfte sind zweisprachig angeschrieben, überall gibt es tibetische Waren und Kleidung zu kaufen - und auf der Straße sieht man massenhaft tibetische Gesichter und traditionell gekleidete Menschen.
Im nächsten Teil möchte ich gerne über meine drei Tagesausflüge schreiben. Da werde ich mich näher mit faszinierenden Themen befassen wie beispielsweise völlig falschen Entfernungs- und Zeitangaben im Lonely-Planet-Reiseführer, einer helmlosen Motorradfahrt durch Sichuans Hinterland, der Tatsache, dass scheinbar alle Wege keineswegs nach Rom, sondern zum größten Buddha der Welt führen; außerdem mit chinesischen Bauernhöfen und jenem Teil von Tibet, der tatsächlich mitten in Sichuan liegt.
8 Kommentare:
1. schön dassd wieder "da" bist
2. schön, dass es offensichtlich schön war
3. schöne büdln
4. "quaesses"
Das erste Bild strahlt was Besonderes aus. Ja, es ist nur ein Platz... aber irgendwie meint man, diese überrealistische Wahrnehmung darin zu spüren, die man manchmal hat, wenn man sich bewusst macht, dass man JETZT wirklich HIER ist. Seltsam. :)
Ui, die tibetischen Gschäftln wären sicher was für mich! Nächstes Mal machma online-shopping via Händi! *g*
schön, dass´d noch lebst ;-))) les es dann mal wenn ich dazukomm... muss grad facebooken ;-))) *ingnestl*
Liebes Tosherl:
Echt? Hm *schaut.nochmal* ja, ich glaub, ich weiß, was du meinst. Wahrscheinlich, weil die Leute da drauf so lebendig herummarschieren. Und das Sauwetter hat auch was realistisches :D.
Und stimmt ... in den Gschäftln hätt ich sicher irgendwas Buntes für Dich bekommen, ich Depp :P. Andererseits ... die Tibeter haben so einen argen Akzent im Chinesischen - da hätt ich gar nicht gewusst, wie ich kommunizieren soll :|.
@Papa: Hab dank, hab dank :).
Jö, China-News! "colousl", wie das Captcha zu sagen pflegt, was die geneigte Kommentatorin in ein freudiges "Kolossal!" übersetzt.
Abseits von gepflegtem Amüsement über deine wie immer Zwerchfell-erschütternden Formulierungen, sah ich mich aber auch mit eigener Blödheit konfrontiert. Da speise ich seit über 20 Jahren in Chinarestaurants und mir ist noch nie die phonetische Ähnlichkeit zwischen Sichuan und Szechuan aufgefallen. Ich geh mich eine Runde schämen, und zur Vertiefung des Gelernten werde ich morgen wohl was Scharfes ordern beim Chinesen ;)
Naja, wenn's aber doch so viele Umschriften für's Chinesische gibt, kann man sich schon mal in Verwirrung wiederfinden. Deshalb hab ich ja die anderen Varianten dazu geschrieben :).
Spanti!
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