Montag, 30. März 2009

Go West - IIb: Skorpione und ein einsames Theater

Mein Unbewusstsein ist ein gutes. Es weiss genau: Mir war bisher einfach zu wenig los. Als ich also wider Erwarten fruehmorgens tatsaechlich daran dachte, den Fotoapparat einzupacken, brachte es mich kreativerweise dazu, den dazugehoerigen Akku im Ladegeraet zu belassen - und das, obwohl ich selbiges inklusive darinnen befindlichem Akku kurz vor dem Verlassen meines Zimmers noch wegraeumte. So war der Fotoapparat nutzlos - und damit der Weg fuer grossartige Erlebnisse, die ich nur zu gerne bildlich festgehalten haette, geebnet.

Folgendes habe ich also nicht fotografiert:

* den groessten Markt fuer traditionelle Medizin in China, das beeindruckende Treiben in dessen Halle sowie die tausenden medizinischen Zutaten, die von Blumen, Pilzen und Hoelzern bis zu getrockneten Eidechsen und Kaefern reichen,

* einen 60-jaehrigen Experten fuer chinesische Medizin, der Sekunden nach meiner Ankunft an mir festwuchs und mich unter grossem Hallo der Aussteller durch die Halle fuehrte, wobei er mir genau erklaerte, was man gegen Husten, zur Kuehlung oder Waermung des Blutes oder zwecks Staerkung der Manneskraft anwendet und wie man dieses tue,

* meine sicher hoechst variantenreichen Gesichtsausdruecke,als er mich besonders ekelhafte Wurzelknollen oder geschabte Ochsenhoerner kosten liess,

* jenen Moment, als er mir erklaerte, dass der Stachel getrockneter Skorpione Kraft gaebe - und er zu Demonstrationszwecken einen solchen direkt von einem dieser Tierchen abbiss,

* all die schoenen Dinge, die mir von den Hunderten Haendlern geschenkt wurden: ein Scheibchen Holz (nun inklusive draufgeschriebener Notizen, wie ich damit Durchfall kurieren koennte), eine lange Stange von irgendetwas, das das Blut kuehlt und wie eine Koralle aussieht, sowie eine Familienpackung amerikanischer Zahnpasta mit Kraeutergeschmack, die aus mir nicht nachvollziehbaren Gruenden seine Begeisterung erweckte und die er daher extra fuer mich kaufte,

* jenen Moment persoenlicher Glorie, als ich Autogramme fuer die Einkaufenden schrieb - dank meiner grossen Leistung, Europaeer zu sein,

* die Fahrt zurueck zu meinem Hotel - denn mein neuer Freund bestand darauf, mich mit seinem Elektrofahrrad persoenlich hinzubringen. Nachdem er sogar ein bescheidenes Benzingeld mit teils koerperlicher Gewalt abgelehnt hatte, sah ich mich gezwungen, seine Einladung zum Mittagessen nicht anzunehmen, da mir das ganze wirklich langsam peinlich wurde.

Im Hotel holte ich dann meinen Akku und konnte den Rest des Tages bildlich dokumentieren.

Dieser war auch nicht ohne, wenn auch nicht ganz so unterhaltsam.

Einen Taxifahrer bat ich, mich zu bereits erwaehntem, antiken Theater "Hua Xilou" zu bringen. Und gut war's, denn auf diese Weise bemerkte ich, dass ich es bisher irgendwie geschafft hatte, die Altstadt - und damit den interessantesten Teil von Bozhou - vollkommen zu ignorieren. Dort war es wunderbar - uralte, teils wunderschoene, wenn auch heruntergekommene, Haeuser, verwinkelte Gaesschen, unzaehlige Strassenhaendler, Senioren, die in den Gassen Mahjongg spielen, keine Autos, aber ein wahnsinnig lebendiges Treiben, wie man sich China vorstellt, ich es aber ohne Touristen noch nie gesehen hatte.

Und das Theater? Das war vielleicht das schoenste Stueck Architektur, das ich bisher in China gesehen habe. Heeresscharen von Touristen pilgern zu irgendwelchen Tempeln in Shanghai, Millionen von Keilern vergaellen einem auch den fluechtigsten Blick auf Pekings Palaeste - und hier zog ich vollkommen alleine meine Runden und sah die wunderbarsten, feinst ziselierten Holzdaecher, praechtigste Steinfassaden und herrlich bunt bemalte Waende in diesem vollstaendig erhaltenen Theater aus dem 17. Jahrhundert.

Gestern war ich schon etwas skeptisch geworden, aber der heutige Tag bestaetigte mir wieder einmal, dass die schoensten Erlebnisse und die interessantesten Sehenswuerdigkeiten ueberraschend oft an den unbekanntesten Orten warten. In Oesterreich zahlen auslaendische Touristen ja auch lieber Horrorpreise und dulden Menschenmassen im zwar huebschen aber eigentlich unaufregenden Salzburg, als das meiner Meinung nach wesentlich sehenswertere (und guenstigere) Graz zu besuchen.

Ich bin gespannt, wie es in Xi'an wird - einer der Touristenhochburgen Chinas und ein absolutes Must-See. Morgen geht es aber zunaechst nach Luoyang und - hoffentlich - zum Tempel der beruehmten Shaolin-Moenche. Koennte sein, dass ich dann keine Zeit mehr habe zu posten, also Baba derweil ]:).

5 Kommentare:

rudolfottokar hat gesagt…

klingt gut!!! zum büderln reinstellen hast wohl keine zeit gehabt. müss ma halt warten bist wieder zurückbist...
;-)

rudolfottokar hat gesagt…

übrigens - wenn ich ein elektrofahrrad hätt würd ich auch kein benzingeld nehmen... ;-)

ClemmieInChina hat gesagt…

Buederln reinstellen ist im Internetcafe schwer moeglich, o Vater ];). Und "Benzingeld" war in diesem Fall nur ein generischer Terminus zur Umschreibung einer Verguetung der diesem Herrn bereiteten Umstaende. Haett er sich halt a neiche Batterie kaufen koennen.

Etosha hat gesagt…

Hach, den Medi-Markt hätt ich auch gern besucht! :)

Ihihihi, aber der Kommentar zum Benzingeld ist schon sehr schöööön und spitzfindig. *rofl*

ClemmieInChina hat gesagt…

servus toshilein! so eine ueberraschung ... bist du nicht noch in madeira?

und dann gleich ein *seufz*, denn das mit dem benzingeld sollte ein scherz sein, der mangels kapieren offenbar ins wasser gefallen ist. bin ich wirklich so doof, unbeabsichtigt in einem satz "elektrofahrrad" und "benzingeld" zu verwenden? das gibt mir zu denken. da werd ich drueber meditieren. oder ich kauf mir einen gruenen tee ^^.