Wenn es jemanden gibt, der stets bestens informiert ist über alles, was in Shanghai so los ist, der immer weiß, wann wo was passiert, wer zu welcher Zeit hier gastiert, warum gerade am Sonntag um drei Uhr nahe dem Hauptplatz so viele Autos stauen, oder weshalb vor diesem oder jenem Ticket-Office so lange Schlangen stehen ...
... richtig: dann bin das ganz sicher nicht ich.
Es könnte Präsident Obama zu Gast sein, Aliens am Dach des Studentenheims landen oder überhaupt die ganze Stadt abbrennen - solange ich es nicht körperlich spüre, würde ich es garantiert nicht mitbekommen. Ich bin, ganz schlicht, die vielleicht schlechtest informierte Person in Shanghai. Und das ist doch immerhin besser als nichts.
Trotzdem ... manchmal keimt in mir der Verdacht, dass mir aufgrund dieser meiner erfrischenden Ahnungslosigkeit hin und wieder doch auch mal etwas entgeht.
Nehmen wir nur einmal vergangenen Freitag. Also ... nicht, dass mir gleich der gesamte Freitag entgangen wäre und ich mich des Samstags gefragt hätte, warum denn nach dem Donnerstag gleich das Wochenende ... na, Ihr versteht schon.
Jedenfalls.
Ich fuhr also Freitag am späten Nachmittag in die Stadt, des festen Vorsatzes, diese aufs gewaltigste zu bebummeln, da just an jenem Tage der seit zwei Wochen anhaltende Dauerregen ein Päuslein einlegte.
Kaum im Zentrum angekommen, brachte mir ein Strich in der Rechnung diesen Plan zum Durchkreuzen, denn es frugen mich drei junge chinesische Menschen, ob ich denn imstande wäre, von ihnen ein Foto zu machen.
Ich war.
Und noch mehr: Unter Aufwendung meines gesamten chinesischen Wortschatzes kamen wir ins Gespräch - und ehe ich mich's versah, saß ich in irgendeinem hübschen Zimmer und nahm an einer Teezeremonie teil. Das war sehr interessant, denn ich hatte bereits in Chinas heimlicher Tee-Hauptstadt Hangzhou eine solche zelebriert - doch damals gab es ein Problem: Die nette Dame, die all die komplizierten Handgriffe der traditionellen Teezubereitung vornahm, diese genau erklärte und auch noch die geschichtlichen Hintergründe dazu erläuterte, tat dieses in vollendeter Wortwahl, verwendete gewundene Wendungen, setzte Sätze von gesetzter Eleganz.
Doch mein Chinesisch damals war Scheiße.
Nicht so dieses Mal!
Gut, mein Chinesisch ist immer noch Scheiße, aber diesmal hatte ich meine drei neuen Freunde aus Peking, Xi'an und Lanzhou dabei, die mir alles von Chinesisch (kompliziert) in Chinesisch (Kindergartenniveau) übertrugen. So verstand ich immer noch nix, fand das aber total nett von ihnen!
Die vier Teesorten, die wir so vorgestellt bekamen, waren hervorragend. Und wieder einmal beging ich meinen Lieblingsfehler: Ich erwähnte nebenbei, welcher Tee mir am meisten mundete.
Sekunden später hatte ich natürlich einen halben Kilo davon in der Tasche - es war den dreien nicht auszureden, mir diesen zum Geschenk zu machen. Ich - nicht faul - rächte mich sofort mit einem Abendessen. Doch sie - offensichtlich erfahrene Kämpfer - schlugen umgehend mit einem Ticket zurück!
Und damit sind wir - dramaturgisch gesehen ein Hammer! - wieder beim Anfangsthema: meiner Ahnungslosigkeit. Denn mir war gar nicht bewusst, dass an jenem Abend Chinas beste Akrobatengruppe in Shanghai gastierte. Ein Großereignis, das mit Sicherheit bereits seit Monaten fünfzehn Millionen (minus einen) Einwohner von Shanghai in vorfreudiges Beben versetzte.
Ich hatte also plötzlich eine Eintrittskarte dafür - und drei neue Freunde, die unter Umständen sogar Sprachpartner werden könnten. Mein gemütlicher, einsamer Spaziergang in der Stadt inkl. stillem "Niemand-hat-mich-lieb"-Monolog war damit natürlich gründlich im Arsch.
Die Show selbst kann mit Worten kaum beschrieben werden. Zwar sah ich schon in Österreich mehrmals chinesischen Zirkus und war begeistert von den fast übermenschlichen Darbietungen der Akrobaten. An diesem Abend aber musste feststellen, dass man im Reich der Mitte selbst noch eine ganz andere Liga an Artistik zu sehen bekommt. Was sich da vor meinen Augen abspielte, war nicht mehr einfach nur unglaublich - es war eigentlich unmöglich!
Blöd nur, dass ich das jetzt hier nicht wiedergeben kann. Ihr müssts mir's halt so glauben. Aber zumindest hab ich ein paar hübsche Fotos und einen ziemlich lauten Film gemacht. Das könnts Euch jetzt anschauen, wenns wollts.
Mahlzeit.
Alles begann mit entspanntem Balancieren auf einem Brettchen, das auf einer Rolle lag, die wiederum auf einer rollenden Rolle balancierte, die auf einer Rolle balancierte, die auf einer Tonne stand. (Und später folgten noch mehr.) Dem turnenden Knaben war das wurscht, der ist da oben herumgeschlumpft, dass man sich schon vom Zuschauen das Genick brach.
Dann ein bisschen Reifenhüpfen. Gerne auch mehrere heftigst saltierende Menschen gleichzeitig, die sich im Sprunge eben ein wenig zusammenfalteten, um genügend Platz zu schaffen.
Platz ist überhaupt das Stichwort, denn die Chinesen haben ja nicht so viel davon. Und so war der nächste Programmpunkt einfach nur aus dem Leben gegriffen: Bilder wie diese sieht man nicht selten auch in Shanghais normalem Straßenverkehr, wenn sich die gesamte Family zum Sonntagsausflug auf ein Fahrrad packt. Familie Wang (= chinesische Entsprechung zu den Sackbauers) ist dabei im Regelfall allerdings nicht so farbenfroh gekleidet.
Ein weiterer wichtiger Skill direkt aus Shanghais Straßenverkehr: der dreifach eingesprungene Rittberger am rollenden Fahrrad - meist zur Vermeidung von Kollisionen.
Doch nicht nur der Alltag auf Chinas Straßen wurde in der Show eingefangen - auch Haushaltsgegenstände wurden für einen Abend zu Stars. So zum Beispiel diese auf einer sehr beweglichen Dame gestapelten Gläser ...
... jene unter der beweglichen Dame gestapelten Sesseln ...
... oder auch Tassen, die auf Untertassen, die auf Stöcken, die von beweglichen Damen, die auf anderen beweglichen Damen turnen gehalten werden rotieren stehen.
Doch Shanghai wäre nicht Shanghai, wenn nicht selbst im Zirkus der Verkehr Dinge tun würde - ich sage nur: Pfumm!
In diesem Fall: in eine Kugel gestopft zu werden, wo nur ganz wenig Platz ist. Wie gesagt - mit auf engsten Raum gepacktem, halsbrecherischem Fahren haben die Shanghaier viel Erfahrung. Daher zum Abschluss noch ein Filmchen aus den ABS (Austrian Bayer Studios) mit dem Titel
"Helmis Nemesis"
4 Kommentare:
Oh du virtuoser Spieler auf meinem Zwerchfell! Wer, wenn nicht du, könnte mir den Tag so versüßen? Oder, weniger pathetisch: Danke für das Amüsement, mit dem mein Tag deinetwegen gestartet ist. Oder hat. Oder wie auch immer. Womit bewiesen wäre: Lachen kann Kaffee nicht ersetzen ;)
super - und schön dass dus lustig hast!
übrigens:
"...aber diesmal hatte ich meine drei neuen Freunde aus Peking, Xi'an und Lanzhou dabei..."
wen hast denn da unterschlagen?
oder sind das drei städte...
;-)
@mathilda: aber gerne doch. nächstes mal setze ich meinem geschreibsel noch ein bissl koffein zu - dann klappts auch mit dem nachbarn :).
@rudolfottokar: neineinein, das sind drei städte, und es geht um die drei, die ich da grad ... ach so, man verarscht mich. pfffff :P.
nein - das war kein verarschen!
aber wenn man die städte (außer peking) nicht kennt (so wie ich), klingts wie "meine drei freunde aus peking:........"
usw. ;-)
Kommentar veröffentlichen