Oft fragt man mich nach dem Sinn des Lebens. Leicht zu beantworten:
42.
So.
Was man mich noch fragt - und wozu ich mich in altbekanntem Wortreichtum hiermit einmal öffentlich äußern möchte - ist, warum denn die Chinesen so eine gar fuuurchtbar komplizierte Schrift verwenden und nicht einfach in unser gemütliches 26-Buchstaben-Alphabet wechseln.
Alt, groß und unpraktisch: Sprengen wir doch Schönbrunn!
Nun - einerseits gelten die chinesischen Schriftzeichen hierzulande als eine der wichtigsten Grundlagen der Kultur. Eine Abschaffung und Ersetzung durch eine Buchstabenschrift empfände selbst der einfachste Einwohner Chinas in etwa so wie ein Wiener die Sprengung von Schönbrunn, dem Stefansdom und aller anderen älteren Häuser der Stadt sowie deren Ersetzung durch modernere, zweckmäßigere Bauten.
Doch dann gibt es dafür noch zwei ganz praktische, für uns leicht nachvollziehbare Gründe.
Grund 1: Schriftzeichen funktionieren wie Mathematik
Sehet her, liebe Leute:
12 x 5 = 60
Dieses mathematische Zeilchen funktioniert für uns Europäer ganz ähnlich wie die Schriftzeichen für die Chinesen.
Der bodenständige Wiener sieht das Zeilchen und hört vor seinem inneren Ohr etwas, das in etwa wie
klingt, um hernach in angestrengtem, halbstündigem Schweigen ob der kalkulativen Verifizierung dieser gewagten Aussage zu versinken."Zwööööfä moi Fiiinfä is Sechzg"
Der Engländer hingegen unterbricht angesichts
dieses Sätzchens nur kürzlich seinen 5-Uhr-Tee, liest dann
"Twelve times five equals sixty"
und lebt weiterhin glücklich in der wirren Überzeugung, britisches Essen wäre wohlschmeckend.
Der Finne wiederum schiebt sein Schmuse-Rentier zur Seite, um etwas wie
"Halunpinpää Kunkipäätääläätilanen Portuntuupipaan"
wahrzunehmen.
(Also ... jetzn nicht wirklich ... aber so ähnlich klingts sicher. Viele "ä" halt. Und lange Wörter.)
Würden unsere drei hypothetischen und so verschiedenen sympathischen Europäer ihre jeweiligen Sätzchen ohne Kenntnis der jeweils anderen Idiome mündlich den anderen zu vermitteln suchen - sie würden kläglich scheitern und darob in schier babylonischer Trauer versinken!
Obwohl also alle drei völlig Unterschiedliches aussprechen, verstünden sie einander doch alle sofort, würden sie schriftlich kommunizieren.
In China gibt es nun acht verschiedene Sprachen (die wir der Konvention halber unter dem Begriff "Chinesisch" zusammenfassen), die sich voneinander jeweils stärker unterscheiden, als Deutsch von Englisch. (Denn letztere zwei Sprachen sind zu 60% lexikalisch gleich, während beispielsweise Mandarin-Chinesisch und Kantonesisch nur 30% lexikalische Ähnlichkeit aufweisen.)
Ein Mensch aus Peking und einer aus Kanton können sich also in ihren jeweiligen Muttersprachen nicht miteinander unterhalten. Schriftlich allerdings ist das kein Problem, da ja im Chinesischen jedes Schriftzeichen auch einem Wort entspricht. (Wobei es natürlich auch Wörter gibt, die sich aus mehreren Schriftzeichen zusammensetzen.)
Im Falle einer Buchstabenschrift, könnte dieses Land also weder Fernseh-Untertitel, noch Zeitungen, noch Briefe noch sonst irgendeine einheitliche schriftliche Kommunikation aufrecht erhalten.
Grund 2: 420 Silben - ein Hoch auf die Homophone!
(Und ja, ich weiß, "Homophon" ist auch ein schwuler Männerchor aus Münster. Den meine ich aber nicht.)
Den zweiten Grund darf ich anhand des folgenden hübschen, chinesischen Geschichtleins beleuchten:
So weit so gut. Für die meisten von uns recht unverständlich, (übrigens größtenteils auch noch für den Autor dieser Zeilen, dessen Laune sich gerade deutlich verschlechtert hat :P), aber ansonsten nicht weiter auffällig.
Auch die Übersetzung lässt uns noch nicht an unserem Weltbild zweifeln:
In einem steinernen Raum gelüstete es einem Dichter-Gelehrten aus der Familie Shi nach Löwen; er schwor, er werde zehn Löwen essen. Von Zeit zu Zeit begab sich besagter Gelehrter in die Stadt und hielt nach Löwen Ausschau. Um zehn Uhr begab es sich, daß sich zehn Löwen auf den Weg in die Stadt machten, und es begab sich, daß sich auch der Gelehrte Shi eben um diese Zeit auf den Weg in die Stadt machte. Er sah die zehn Löwen, vertraute auf die Macht seiner Pfeile und brachte diesen zehn Löwen den Tod. Er sammelte die Leichen der zehn Löwen auf und begab sich in sein steinernes Zimmer. Das steinerne Zimmer war feucht, er ließ das steinerne Zimmer von einem Diener aufwischen. Als das steinerne Zimmer gewischt war, schickte er sich an, die zehn Löwenleichen zu essen. Während er aß, begann ihm bewusst zu werden, daß diese zehn Löwenleichen in Wirklichkeit zehn steinerne Löwenleichen waren.
Doch jetzt lasst mich Euch enthüllen, wie dies transkribiert aussähe - in unsere doch völlig angemessene Schrift aus 26 Buchstaben:
Shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi
shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi
shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi
shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi shi
shi shi shi shi shi shi
Auf diese Art geschrieben, steht hier selbst der geduldigste Chinese vor einem gröberen Problem. In chinesischen Schriftzeichen hingegen könnte er diese alte Fabel problemlos lesen. Mit nur 420 unterschiedlichen Silben ist das (Mandarin-)Chinesische nun mal eine Sprache mit großem Homophonie-Problem.
Folglich ...
Abschließend verbleibt mir noch zu bemerken (bevor ich mir zum Abendessen eine wunderbare Nudelsuppe reinschiebe): "Rechtschreibung" ist etwas, das es im Chinesischen gar nicht gibt. Ist ja auch klar: Denn wenn ein Zeichen einem Wort entspricht, gibt es auch keine Probleme mit "ie", "ss" oder ähnlichen gemeinen Dingen, die Chinesen beim Erlernen einer europäischen Sprache zur Verzweiflung bringen - und nicht selten auch zur Feststellung veranlassen:
"Warum haben die Europäer denn so eine komplizierte Schrift?
12 Kommentare:
jetzt kenn i mi endlich aus.
(dein opa rätselt sowieso immer, wie das so geht mit der chinesa-schrift. obwohl ich meine zweifel hege, dass ihm das shishishi was sagt...;-))
(die wortbestätigung ist sowas von unpassend: unedr)
Na siehst - Papa und Opa in einem Aufwaschen unfassbar gscheit gemacht. Wer kann das sonst noch von sich behaupten?!
(War übrigens grad beim Burgerking, weil ich irgendwie spontan Lust darauf gehabt hab. Nix mit Nudelsuppe. Peinlich eigentlich. Aber ziemlich exotisch hier :D.)
Ich falle ein in den Klugscheißer-Modus: Nicht unwesentlich ist auch, dass die chinesische Schrift seit Jahrtausenden verwendet wird, und den Chinesen somit auf einfache Weise mit seiner Geschichte und den alten Weisen verbindet, wie es das im Abendland eher selten gibt. Die alten Lateiner oder Griechen zu lesen ist für unsereins schon schwieriger.
Gruß und wech!
... uuuuund wir wollen nicht vergessen, dass sogar andere Länder (Korea, Japan, ...) - neben ihren eigenen - die gleichen Zeichen verwenden. Zwar mit anderer Grammatik, aber man kann immer noch den Sinn verstehen.
Hab gestern eine Doku über Japan gesehen, und da waren am Flughafen einige Schilder - die konnte ich alle verstehen, ohne ein Wort Japanisch zu sprechen! (Hiragana und Katagana stören da kaum :)).
*encympe*
CLEVER!!!
ich schließ mich dem rudi an. :-)
Es ist immer eine Freude Deinen Blog zu besuchen. Danke für diese Erläuterung, sehr interessant.
Nach diesem Artikel wäre die einzig passende Nudel- eh eine Buchstabensuppe gewesen, die in China wahrscheinlich schwer zu bekommen ist ;-) So gesehen passt der Burger King eh auch. Übrigens, wie ist das dann mit dem Übersetzen von zB "Burger King"? Wurde zB für Burger ein neues Schriftzeichen entwickelt? Oder verwendet man RINDFLEISCH LABERL AMERIKA? Und werden Fremdwörter phonetisch nachgeahmt oder sagen sie einfach "shi"?
Gruß
Christian "rensmau"
Solltest du deinen Lebenslauf um einen weiteren Punkt bereichern wollen, darf ich eine Karriere als Lehr- bzw. Sachbuchauto vorschlagen. Wissen witzig und verständlich verpackt, das Ganze wohlformuliert - ich bin begeistert. Und ich hätte gerne mehr davon, denn es gibt einige Aspekte an der Sache, die mich interessieren, die ich aber nicht anzufragen wage. Aber wenn du von selber drauf zu schreiben kommst *unschuldig guck*
Einen *toast* auf den Clemi!!!
Siehst, das wär´s vielleicht - die Art und Weise, es sinnvoll im schnöden Westen wieder umzusetzen: Ein Sachbuch!!! "Chinesisch für den Westeuropäer - eine sinnvolle Reise durch die Mysterien der Sprache des Konfuzius"... oder irgendwie so. Ha.
Pfumm - so viel Interesse und Lob ... vielen Dank - bei dem Artikel hätte ich das nicht erwartet. Lasset uns also aufklären:
@christian: Servas :). Du hast mit beiden Annahmen recht - beide Möglichkeiten der Übersetzung existieren. Reschpekt. Bei Burger King werden sie sogar gemischt verwendet: Die ersten zwei Schriftzeichen des Namens nähern die Aussprache von "Burger" an, das dritte bedeutet "König" (spricht sich "Wang").
Genialerweise achten die Chinesen meistens darauf, dass SOWOHL Aussprache ALS AUCH Bedeutung passen. Wie z.B. bei "Coca Cola". Auf Chinesisch: 可口可乐 - spricht sich "Kekou Kele" - also recht ähnlich - und bedeutet in etwa: "köstlich und erfreulich". Net schlecht, oder? :)
@mathilda, @nikerl:
Ihr seid's ein Hit - danke :). Ich bemerke mit Schrecken, wie schön es ist, gute "Kritiken" zu bekommen ... dabei sollte ich in meinem Alter eigentlich emotional genügend gefestigt sein, um so etwas gaaaar nicht mehr nötig zu haben ;)).
Jedenfalls ist die Idee mit dem Sachbuch gut - allerdings auch nicht ganz einfach. Ist ja doch ein Unterschied, ob man den einen oder anderen spontanen Einfall zum einen oder anderen Aspekt dieser Sprache runterklopft - oder ein gut recherchiertes und umfassendes Buch dazu schreibt. Ob ich mir das zutrau ... und ob ich die Zeit dazu hab? Hm ... habt's an Sponsor? :DDD
*diccous*
(= ordinärer Ami lernt Latein *prust*)
Schlimm wärs, wennst dich über positives Feedback nicht freuen könntest! So gefestigt, dass Lob überflüssig ist, kann man gar nicht sein. Leider kann ich nicht mit Sponsoren dienen. Aber bei dem, was du an Pensum in China erledigst, schaffst so ein Buch doch locker neben einem westlichen Job ;)
Hast ja recht, hast ja recht :).
Ich fürchte nur, mir wird dann in Österreich die Motivation fehlen, neben einem 50-Stunden-Job noch so ein bissl ein Buch zu schreiben :P. Aber mal sehen ...
Den Job der Motivatorin übernehme ich: Ich stell einfach "die richtigen Fragen". Die Antworten nehmen wir auf Diktaphon (Diktafon? Diktiergerät halt!) auf, und dann kannst sie abtippen und gegebenenfalls noch ein lustiges Gschichtl rundumstricken. Und selbst wenn kein Buch rauskommt dabei, dann hab wenigstens ich profitiert.
Kommentar veröffentlichen