Damals betrat ich zum ersten Mal den Boden ... ähm ... einer chinesischen Kultur: Taiwan. Bereits in meinem ersten Posting habe ich mich ja weidlich darüber ausgelassen, warum ich dort weilte und welch großen Eindruck diese Insel und die dortige Kultur auf mich hinterlassen haben. Eines jedoch habe ich nicht erwähnt: Ich fand dort die beste Frucht der Welt - zumindest meiner Meinung nach.
Sie war überall: Auf der Straße verkauften alte Mütterchen Spalten, abgepackt in kleine Plastiksackerln, um ein oder zwei Yuan. In Geschäften, Supermärkten, bei Obstständen - man konnte ihr gar nicht entkommen. Und ich war beeindruckt: Noch nie hatte ich etwas so Köstliches gegessen! Daher kaufte ich auch in jener schwachen Woche, die ich dort verbrachte, die halbe taiwanesische Jahresproduktion auf, und selbst bis nach Österreich nahm ich ein paar Spalten davon mit, um meine Freunde an dem Genuss teilhaben zu lassen.
Nie zuvor - und nie wieder danach - habe ich dieses Obst irgendwo anders auf der Welt gefunden. Also beschloss ich damals, es fürdehin zu suchen, um mich daran von neuem zu laben.
Doch es gab ein Problem.
Ich wusste nicht, wie die Dinger heißen. Den chinesischen Namen - vorgetragen im breitesten taiwanesischen Dialekt - habe ich mir nicht gemerkt, und eine englische Übersetzung, die ich ein einziges Mal irgendwo fand, war offenbar nicht korrekt. Denn niemand - kein Chinese, kein Taiwanese und kein sonstiger Ese - konnte sich unter "Rose Apple" etwas vorstellen. Merkwürdigerweise fruchteten (hihi) auch meine Erläuterungen nichts - das Ding war aber auch nicht leicht zu beschreiben: glatte, rötliche Schale, länglich, birnenförmig, in etwa so groß wie ein Apfel, an einem Ende spitz zulaufend, am anderen in einer seltsamen Einstülpung endend. Aber ach - selbst eine solch eloquente Charakterisierung brachte mir nur verständnislose Blicke ein.
Auch hier in China habe ich seit vier Monaten die Augen offen gehalten; obwohl nach so vielen Jahren die Hoffnung nur noch schwach in mir glomm, spähte ich stets in jede Fruchtabteilung. Es war mir ein Rätsel, wieso ich den mysteriösen "Rose Apple" nie wieder irgendwo fand.
Doch dann ging ich vor einigen Tagen spazieren. Das heißt: Eigentlich wollte ich spazieren gehen. Aber wie das bei mir so ist ging ich los - und stellte viereinhalb Stunden später fest, dass vom Dorm aus das Stadtzentrum ja durchaus auch zu Fuß erreichbar ist.
Der kleine siebzehn-Kilometer-Bummel führte mich allerdings durch die buntesten Regionen Shanghais, die offenbar noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Oder zumindest haben die Regionen noch nie zuvor einen westlichen Menschen in sich gehabt - den Blicken der Einheimischen nach zu urteilen.
Und in einer dieser Regionen gab es den "E-MART". Trotz des Namens ein durch und durch chinesischer Hypermarkt, in dem man wirklich alles findet (außer Europäer): Gewand, lebende Tiere zum Verspeisen, Süßigkeiten, Küchenutensilien, Gartenwerkzeuge, Grundnahrungsmittel ... und ein kleines Regal mit Rose Apples. Einzeln verpackt.
Ich äugte meinen Kaumen traut.
Das konnte doch nicht wahr sein!? Doch es war wahr: Vor mir lagen genau jene Früchte, von denen ich nun endlich erfahren würde, ob sie mir auch heute noch so gut schmeckten, wie ich es in Erinnerung hatte. Und sie kosteten nur vier Euro pro Stück - was durchaus dem Monatseinkommen eines chinesischen Bauern entspricht.
Das war mir nun aber egal: Flugs packte ich eines der guten Stücke, rannte damit zur Kassa, stürzte mich in die dortigen Menschenmassen und war nach einer mir endlos erscheinenden Wartezeit endlich an der Reihe, zu bezahlen. Ich kramte nach meinem Geld, während die hinter mir anstehenden Shanghaiischen Mitbürger bereits ungeduldig grummelten.
Dann wurde die ganze Situation sehr clemens.
Denn ich hatte vergessen, den Rose Apple abzuwiegen. Deshalb konnte ich ihn nicht kaufen. Hinter mir drängten etwa fünfzig Chinesen, vor mir funkelte mich eine nicht allzu liebenswürdige Kassierin an - alle Augen waren auf mich gerichtet.
Ich reagierte souverän:
"Bu yao!" - "Will ich nicht", warf ich der Kassierin lässig zusammen mit dem Rose Apple entgegen, drehte mich um, schritt hoch erhobenen Hauptes durch die Ausgangstüre ...
... und glaubte, ich müsse mir in den A*** beißen. Noch einmal reinzugehen war mir zu peinlich und zu zeitaufwändig.
Aber ich beschloss, wiederzukommen.
Nun - ich will Euch nicht langweilen, daher greife ich für den Rest der Story auf mein bewährtes Bullet-Point-System zurück:
* Draußen angekommen: Ich stelle fest, ich weiß noch immer nicht, wie die Dinger heißen; aber zumindest kann ich mich an die beiden chinesischen Schriftzeichen vage erinnern, die den Namen ausmachen. Die kann ich zu Hause nachschlagen.
* Den Weg zum E-MART merken! Dass ich daran gedacht habe, ist fast ein Wunder. Die Adresse vergaß ich natürlich, aber ich sah den Bus Nr. 123 vorbeifahren und beschloss, mit diesem wiederzukommen.
* Natürlich wählte ich den falschen Heimweg und war also an diesem Tag fast neun Stunden auf den Beinen.
* Schon zwei Tage später stieg ich in Bus Nr. 123
* Ich stellte fest, dieser Bus fährt je nach Fahrtrichtung verschiedene Strecken.
* Ich landete irgendwo im Nirgendwo. Vom E-MART keine Spur.
* Ich wartete auf den Bus in die andere Richtung, um den E-MART doch noch zu erreichen.
* Das ist aber kein Rundkurs, und er fährt also von einer anderen Station weg, die ich nicht finde und die auch niemand zu kennen scheint.
* Ich nehme ein Taxi nach Hause.
* Mein Wörterbuch verrät mir, die geheimnisvolle Frucht heißt 莲雾 - "Lianwu", oder "Wax Apple". (Die wörtliche Übersetzung ist "Nebel-Lotus".) Nach acht Jahren kenne ich endlich den Namen.
* Am nächsten Tag mache ich mich zu Fuß auf den Weg.
* Eineinhalb Stunden später erreiche ich den E-MART.
* Stolz, den Namen endlich zu kennen, frage ich einen Verkäufer nach einem "Lianwu".
* Ich verstehe seine Antwort sogar: "卖完" - das heißt "ausverkauft".
* Am nächsten Tag frage ich meine Lieblingsprofessorin, ob sie "Lianwu" kenne; sie bejaht und verspricht, Ausschau nach einem solchen zu halten.
* Am Folgetag sagt sie mir die Adresse eines Supermarkts, wo sie fündig geworden war.
* Heute war ich dort. Ein einstündiger Fußmarsch.
* Nach längere Suche finde ich den allerletzten "Nebel-Lotus" und kaufe ihn sofort. Er ist sogar viel billiger als bei E-MART.
* Vor einer halben Stunde nehme ich ihn aus der Plastikverpackung.
* Er ist an der Unterseite verschimmelt.
* Aber ich weiß jetzt, wie die Dinger heißen, wo es sie - zumindest manchmal - gibt, und ich kann Euch sogar ein Foto davon präsentieren:
Und ich denke, mit all dieser Information kann es sich eigentlich nur noch um Monate handeln, bis ich ein tatsächlich genießbares Exemplar auftreibe, meine Zähne endlich wieder hineinschlagen und Euch mitteilen kann, ob die Dinger den ganzen Aufwand wirklich wert waren.
Mein Leben ist ein einziges Abenteuer.
13 Kommentare:
hihi...
irgendwie erinnert mich das an einen schimpansen- oder pavianarsch...
Hinfort, Unwürdiger! :D
Ich kam bis "Dann wurde die ganze Situation sehr clemens." und genoss das mich innerlich erschütternde Zwerchfellbeben (meinen Kollegen zuliebe habe ich mir lautes Lachen verkniffen). Justament an diesem spannenden Punkt erschien einer der Teamleiter und verstrickte mich in eine 15-minütige Diskussion über einen Verbesserungsvorschlag, den ich eingereicht hatte. Cliffhanger a la _mathilda_ halt :D Ich hab mich dank der Zwangspause dann noch besser amüsiert.
Mein Fazit: Das hätte mir auch passieren können... Aber so einen kleinen "unitic" braucht wohl jeder :)
Du kannst "in einer seltsamen Einstülpung endend" auf chinesisch sagen? Chapeau!
Mannmannmann, bin ich jetzt gespannt! Bringstma sowas mit?
Bitte? :)
Terprolo! (Das mein ich nicht persönlich! Das ist Captcha-Tourette! *schepperschepperlachlach*)
"captcha-Tourette" ist nominiert für die Kompositum-Kreation des Jahres!
*porif* ist auch ein nettes Ding: mit bisschen Fantasie kann man da die französische "poire" rauslesen.
Ich bin mir nicht 100 prozent sicher, aber ich glaube, auch mein gaumen durfte schon einmal das zarte fruchtfleisch dieser so seltenen und außergewöhnlichen delikatesse berühren. Kann es sein, dass man die dinger (wie respektlos :- ) auch in thailand bekommt?
und viel erfolg weiterhin bei der suche nach der wunderfrucht und guten appetit!
@mathilda: *verneig* (um mir diese schöne sitte mal von toshi zu leihen). freut mich, dass meine selbstbewussten taten doch zu was gut sind :D.
@toshi: ja "captcha-tourette" ist absolut sensationös! irgendwann kopier ich einfach eure kommentare und mach draus ein neues posting :).
und übrigens: was ich tatsächlich auf chinesisch sagte war wörtlich in etwa: "am ort, wo es aufhört, ein bisschen komisch" und dazu machte ich vielsagende handbewegungen. zumindest dachte ich, sie wären vielsagend.
@klausi: ja, das kann leicht sein! soweit ich bisher in erfahrung bringen konnte, ist das eine tropische pflanze, die man vor allem in südostasien bekommt. und dort war ich halt noch nicht. köstlich, oder? :))
wenn auch vielleicht impurjtk.
der botanische name für deinen wachsapfel ist übrigens "syzygium samarangense"
*orgut* - passt irgendwie, hahaha - wie russisch "urgut"...
ich kann mir net helfen, aber das sieht aus wie ein gezogener zahn... brrrrrrrrrrt
@gon: master crok, bist du's? jedenfalls danke ... mittlerweile hab ich eh schon via wikipedia sämtliche namen und historien dieser schönene frucht hergeleitet :).
@nikerl: zuerst pavianarsch, jetzt gezogener zahn - ihr seids UN-MÖG-LICH! das ding ist GUT!
bareen!
man könnt auch botanischer rorschachtest dazu sagen.
Botanischer Rorschachtest ist super! Vor allem in einer nicht-indogermansichen Sprache absolviert - Respekt!
chimatru - irgendwie irrt das chaptcha. Clemens ist doch in ChiNa, also müsste es chimafals heißen ;)
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