Donnerstag, 9. April 2009

Go West - VII: Xining, Provinz Qinghai

Geschafft! Ich habe mein Ziel, meine "Traumprovinz" erreicht - und bin gluecklich ]:).

Aber der Reihe nach.

Per Rennfahrer nach Xining?
Die Anreise nach Xining waere haarscharf zu einem unvergesslichen Erlebnis geworden. Geistesgegenwaertig wusste ich dieses aber noch in letzter Sekunde zu verhindern.

Wie das kam? Hoeret selbst:

Es ist naemlich so, dass ich gestern Abend in Lanzhou noch ueber eine recht fesche Bar mit dem mysterioesen Namen "Carman" stolperte. Und da ich auf dieser Reise bisher noch nicht wirklich dazu kam, dem Nachtleben zu froenen, schien mir das eine gute Gelegenheit - also kehrte ich auf ein Bier ein.

Der unheimlich liebenswerte Chef des Etablissements, dessen Chinesisch wunderbar verstaendlich ist, schenkt mir zunaechst hausgegrillte Melonenkerne, um mich dann darueber ins Bild zu setzen, dass ebendiese seine Bar ein Club fuer Ralleyfahrer sei. Da passe ich als Ex-Seicento-Besitzer natuerlich rein wie ein Laubfrosch in eine Hundehuette; aber das macht nichts, ich fuehlte mich trotzdem recht wohl - und bin innert kuerzester Zeit als Auslaender der vielbewunderte Mittelpunkt. Der Wirt telefoniert daraufhin kurzerhand drei usbekische Maedels herbei, die an der Uni Lanzhou Chinesisch studieren. Sie sind ja auch Auslaender, und da muss er sie mir natuerlich unbedingt vorstellen. Eine halbe Stunde spaeter sind die drei da - und von da an mischt sich auch ein wenig Englisch und Usbekisch in unsere bisher rein chinesische Unterhaltung.

Nachdem der Wirt auf einer Gitarre chinesische Weisen zum besten gegeben hat, die Studentinnen Gassenhauer aus Usbekistan, Russland und von Bryan Adams angestimmt haben - und ich daraufhin notgedrungen die gesamte Bar mit "Schiefoahr'n", "Ana hot imma des Bummerl" sowie spontan improvisierten Bluesnummern erfreut habe, schwingt sich der Abend mit dem Erscheinen des Local Heros zu einem Hoehepunkt auf: "Sky" ist offenbar der erfolgreichste Rennfahrer Chinas, wurde 2008 zum "Mann des Jahres" dieses Landes gekuert (die Urkunde und unzaehlige Fotos kann man in der Bar bewundern) und nahm erfolgreich an der wichtigsten Rally Chinas teil: von Lanzhou durch die Wueste und ueber den Himalaya nach Lhasa, Tibet. Hei, da wird es lebendig, laut und sehr chinesisch! Ich finde mich dann in der merkwuerdigen Situation, einem Buendel Chinesen (und Usbekinnen) die paar Woerter Shanghaiisch beizubringen, die ich beherrsche, und dazu noch ein wenig Wienerisch - und lerne dafuer die wichtigsten Phrasen des Lanzhou-Dialekts (der, wie ich bemerke, nicht die geringste Aehnlichkeit mit Hochchinesisch aufweist).

Als sich Sky zu vorgerueckter Stunde erbietet, mich mit seinem Ralleywagen nach Xining zu bringen und dann noch den Qinghai See - meine absolute Traumdestination - zu zeigen, lehne ich ab. Ich habe ja schon ein Zugticket gekauft. Und diese 3 Euro haette ich ja nie und nimmer verschmerzt. Ich Arsch.

Aber macht nix. Dafuer bin ich heute halt ganz bieder (aber dafuer konsequent) mit dem Zug durch die Pampa geritten.

Drei Plagen
Nicht, dass das so fad gewesen waere. Knapp drei Stunden lang brauchte die Eisenbahn fuer die gut 200 Kilometer - deutlich weniger spritzig als ein Ralleyfahrzeug, vielleicht aber auch ein wenig sicherer.

Zunaechst denke ich schon, ich wuerde die Landschaft der letzten Etappe gar nicht sehen. Ich hatte beim Ticketkauf vergessen, einen Fensterplatz zu verlangen und finde mich folgerichtig in der unbeliebten Mittelposition des Hard-Seater-Abteils. Dazu ist das Fenster mit einer fetten Zweiteilung versehen, mit Wasser beschlagen und draussen herrscht ein merkwuerdiger Dunst. (Wahrscheinlich alles, was mein Freund der Nebel in dieser Trockenheit zustande gebracht hat.)

Ich loese diese verfahrene Situation aber auf kompetente Weise: Ungefragt und -verschaemt besetzte ich einfach so den Fensterplatz. Und als mich dessen rechtmaessiger Besitzer fragend ansieht, nutzte ich meinen Auslaenderstatus schamlos aus, indem ich vorgebe, nichts zu verstehen (was nicht allzu weit von der Wahrheit weg ist), woraufhin der Gute sich achselzuckend auf meinen Platz setzt. Die Zweiteilung und den Fensterbeschlag vermeide ich durch kauernde Sitzposition (mein Kreuz ist nicht begeistert), und der Dunst lichtet sich mit zunehmender Hoehe und damit abnehmendem Luftdruck.

Die Fahrt aufs Plateau
So kann ich halbwegs ungehindert mitverfolgen, wie wir nach einer laengeren Strecke entlang des Hoangho, eingezwaengt zwischen Bergketten mit einer merkwuerdigen, in allen moeglichen Brauntoenen gefaerbten Streifenstruktur, langsam in eine Mondlandschaft eintauchen. Zwischen all diesem Braun von gelblich-ocker bis roetlich-terracotta stehen vereinzelte Baeume, in den immer wieder auftauchenden Ebenen sieht man noch das zarte Gruen bewirtschafteter Felder, obwohl die meisten davon mit Streifen weissen Plastiks abgedeckt sind - wahrscheinlich, um die wertvolle, verdunstende Feuchtigkeit bestmoeglich zu konservieren. Ganze Bergketten erstrecken sich von Horizont zu Horizont, wobei ihre Gipfel wie abgeschnitten wirken und so scheinbar voellig flache tafelbergaehnliche Hochebenen bilden. Ich beobachte einen Bauern, der mit Holzpflug und Pferd muehsam sein kleines Feld beackert - doch selbst die aermlichsten Lehmhuetten haben verrostete Satellitenschuesseln auf dem Dach.

Nahe der Grenze zu Qinghai werden die Berge dichter, hoeher, schroffer und felsiger. Ein Tunnel folgt auf den naechsten, dazwischen erstrecken sich halsbrecherische Bruecken ueber tiefe Taeler. Die wenigen Siedlungen sind unglaublich heruntergekommen und verfallen. Von Architektur kann man hier kaum mehr sprechen; hier wird offenbar mit allem gebaut, was gerade zur Verfuegung steht. Die etwas "besseren" Behausungen sind oft Bungalow-artig, quaderfoermig, mit grossen Fensterfronten und weissen Kacheln an der Frontseite. Wo nicht bewaessert wird, gibt es ueberhaupt kein Gruen mehr - wobei ich nicht sicher bin, ob das nicht vielleicht auch an der Jahreszeit liegt.

Vor Xining, der Hauptstadt Qinghais, werden die Ebenen weiter, die Bergketten noch laenger und hoeher, und die Felder sind oft von niedrigen Lehmmaeuerchen umzaeunt - vielleicht, um sie mit Wasser fluten zu koennen, wie ich es gestern auf einem der Berge in Lanzhou beobachtet habe.

Dann ploetzlich taucht mitten im Nirgendwo eine richtige Stadt aus der braunen Bergwueste auf: Xining!

Bunt und anders
Schon am Bahnhof erwartet mich ein voellig eigenes Flair, vorwiegend ob des hier noch bunteren Kulturengemischs: Hier scherzen zwei Maenner in tibetischen Roben und Kopfbedeckungen mit einem der fast tuerkisch aussehenden Hui mit seiner weissen Kappe und dem Rauschebart. Dort spielt ein braungebrannter Bauer in uralter, schmutziger Mao-Jacke mit einem schicken Businessman in Nadelstreif und Aktentasche Schach, waehrend eine elegante, junge Mutter im Guccikostuem ihr in einem traditionellen Han-Chinesischen Umhang steckendes Kind hinter sich herschleift.

Mit dem Taxi lasse ich mich von den niedrigen Aussenbezirken, in denen nicht ein einziger Gehsteig halbwegs intakt zu sein scheint, in die Innenstadt bringen. Dort wirkt es recht grossstaedtisch, aber auch ungewohnt ruhig. Nicht nur die maechtigen Bergketten im Hintergrund vermitteln mir das Gefuehl, nun wirklich in einem voellig anderen Teil der Welt angekommen zu sein: Die Sonne ist hier, auf fast 2.300 Meter Seehoehe, gleissend hell und bringt mich selbst im T-Shirt zum Schwitzen, bin ich aber im Schatten, weht ein eisiger Wind. Der Himmel ist tiefblau, und als der Abend kommt, bringt ein Sturm Sand aus der Umgebung in die Stadt, wobei die Temperatur innerhalb kurzer Zeit bis auf den Gefrierpunkt faellt.

Mission almost impossible
Nachdem ich eine Unterkunft besorgt habe, moechte ich sofort alles versuchen, meinen groessten Traum zu erfuellen: Den Kokonor - so der tibetische Name des Qinghai-Sees - einmal mit eigenen Augen zu sehen!

Dies gestaltet sich zunaechst etwas schwierig. Da der See noch etwa 200 Kilometer westlich von Xining gelegen nicht ganz einfach zu erreichen ist, moechte ich mich diesmal vorsichtshalber einer Tour anschliessen. Doch ich finde und finde einfach kein Reisebuero! Nach mehrfachem Herumfragen und Diskutieren mit Taxifahrern, die zwar nett, aber wenig motiviert sind, mich selbst zum See zu bringen, finde ich dafuer einen ausgesprochen hilfsbereiten Fahrer mit kraeftigem, schwarzem Schnurrbart, der mich bei meiner Suche nach einem Reisebuero unterstuetzt. Gemeinsam fahren wir die Umgebung meiner Unterkunft ab, und waehrend ich mich in verschiedenen Hotels nach moeglichen Touren erkundige, wartet der gute Mann auf die Erfolgsmeldung. Diese bleibt zunaechst aus - dann finden wir aber doch ein Reisebuero, und diesmal kommt er mit, um mich bei der Buchung zu unterstuetzen.

Kurz und gut: Uebermorgen soll es also soweit sein: Um 7.30 Uhr wird mich ein Bus abholen und gemeinsam mit anderen (wohl ausschliesslich chinesischen) Touristen zum Kokonor - und am Nachmittag hoffentlich auch wieder zurueck - bringen! Ich bin unglaublich gespannt, wie das wird.

Zunaechst steht aber morgen noch eine ausfuehrliche Erkundung dieser atmosphaerischen Stadt an.

4 Kommentare:

Christian hat gesagt…

Hi Clemens,

Schöne Geschichte! Ich als Autofreak hätte natürlich anders entschieden...wahrscheinlich auch noch bei 33 Euro Opportunitätskosten ;-) Freu mich schon aufs Autofahren in Wien wo ich morgen früh zu landen gedenke und dann in Deiner Abwesenheit einen Osterbock für (und auf) Dich mittrinken werde.

ainglop!

Christian

P.S: Was wäre das denn für ein Auto gewesen? Strassenzugelassen oder eh wurscht? Hmmmm langweilige Fragen? Ok. Stop.

Etosha hat gesagt…

Impact! Sagt mein Captcha, und ich bin mit ihm einer Meinung. Einer deiner schönsten Einträge. Ich hatte richtig Gänsehaut beim Lesen, und das mehrmals.

(Ad Zugsitzplatz: Für so frech hätte ich dich gar nicht gehalten! ;)

Ich geh jetzt mal GoogleEarth fragen und schau mir das Seeding von oben vor zwei Jahren an.
Dir wünsch ich, dass es so wunderbar wird, wie du dir das wünschst - und noch besser!

rudolfottokar hat gesagt…

sag auch nur - sehr schön...

(übrigens: in früheren jahren, wenn in fernen landen in einer bar wegen mir jemand drei mädels per tel herbeiruft...ich wär sowas von schnell abgehauen...)

ClemmieInChina hat gesagt…

@christian: hehehe, klar, dass dir das gefaellt ]:)). ich waer ja auch gerne mitgefahren, aber irgendwie war ich da zu unflexibel. welches auto das gewesen waere, weiss ich nicht. ein professionelles ralleywagerl jedenfalls ... und strassenzugelassen oder nicht duerfte in china - und besonders hier - kein thema sein, wenn ich mir anschaue, was hier so alles in welchem zustand durch die gegend tuckert.
joessers ... ostern ist ja! frohe eier, wuensch ich ]=)

@etosha: du beschaemst mich. und ich haett mich auch nicht fuer so frech gehalten. aber nachdem die chinesen das auch immer so machen - obwohl sie alles verstehen ... ];)

@rudolf: jetzt weiss ich wenigstens, von wem ich das geerbt habe. mein erster gedanke war ja auch: nix wie weg. aber mach das mal, wenn sich ein rudel chinesen in den kopf gesetzt hat, dass du jetzt da zu bleiben und spass zu haben hast.