Da bin ich schon! Gut, die Zugfahrt hat mich ein bisschen damit ueberrascht, dann doch mehr als acht Stunden zu dauern; aber das macht nichts, denn ich hatte farbenfrohe Gesellschaft.
Zunaechst war da dieses aeltere Ehepaar: Sie, ein entzueckendes Muetterlein, das mich immerfort still anlaechelte, er, ein ruppig-freundlicher Geselle, der es sich nicht nehmen liess, mich pausenlos zu verarschen. Dabei waere das gar nicht noetig gewesen, denn dank des Dialekts, dessen sich die zwei etwa siebzigjaehrigen Herrschaften befleissigten, verstand ich ohnehin so gut wie gar nichts. Nur irgendetwas davon, dass es von Lanzhou keine Zuege nach Xining gaebe bekam ich mit ... als ich allerdings gerade in so eine richtig schoene Panik verfallen wollte, sprang ein anderer Sitznachbar ein: ein blutjunger Mann (= gleich alt wie ich), der mir in gutem Englisch mitteilte, dass man lediglich zu scherzen beliebte ... woraufhin der aeltere Herr auch gleich in droehnendes Gelaechter ausbrach und mir wiederholt auf den Oberschenkel schlug, dass ich mein schmerzverzerrtes Gesicht als Lachen zu tarnen gezwungen war, um nicht allzu schwaechlich zu wirken.
Solchermassen froehlich - und meinerseits ob der groeberen Verstaendnisprobleme durchgehend peinlich beruehrt - vergingen die ersten 300 Kilometer der Fahrt recht zuegig. Dann steigen die Senioren aus, und ich erfahre, dass der junge Herr namens Yuan Jun tatsaechlich Deutsch spricht! Er lernte diese unsere schoene Sprache aus dem gleichen Grund wie ich Chinesisch: Er findet sie faszinieren. Er meint, sie waere so exakt und so unheimlich energiegeladen. Ganz anders als Englisch.
Und so entspinnt sich eine stundenlange, nette Unterhaltung ueber so unterschiedliche Themen wie Tee- und Kaffeekultur, Kochen, die Weltwirtschaftskrise und regionale Dialekte. Sollte ich einmal wieder nach Xi'an kommen, muss ich auch unbedingt seinen Lieblingstee versuchen, da ich als europaeischer Mann offenbar eher "kaltes" Blut habe und er einen perfekten Tee mit "warmer" Ausgleichswirkung kennt. Saemtliche seiner Kontaktdaten - wie bei jeder Begegnung mit Chinesen - habe ich aufgeschrieben, und ich musste versprechen, mich zu melden. Was ich gerne tun werde.
Ich lernte von ihm mehr ueber chinesische Kultur als ich bisher insgesamt wusste - ein weiterer Vorteil langer Zugfahrten. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich dauernd mit eineinhalb Augen zum Fenster hinaus schielte. Ich hatte mich ja waehrend der Reise spontan dazu entschieden, jede der einzelnen Etappen bei Tageslicht zurueckzulegen und nicht wie urspruenglich geplant teils auch ueber Nacht. Auf diese Weise bekomme ich die sich veraendernde Landschaft und Architektur ueber eine Strecke von fast 3.000 Kilometern mit, und das fand ich faszinierend. Und nun beobachtete ich (mit eineinhalb Augen) wie die Landschaft ziemlich genau an der Grenze zur Provinz Gansu in eine wirklich bemerkenswerte Mondlandschaft uebergeht. In dieser Wuestenprovinz, die zu Zeiten der Seidenstrasse den einzigen, schmalen Landweg nach China bot (jenen "Hexi-Korridor", durch den ich mich mit dem Zug bewegte), gibt es kaum mehr Wasser, und die Vegetation kommt nun fast voellig abhanden. Draussen ist alles in ein gleichmaessiges Gelbbraun getaucht. Vereinzelte, muehsam landwirtschaftlich genuetzte Ebenen wechseln mit schroffen Gebirgen, in denen unwirkliche, senkrecht aufragende Lehmtuerme und Canyons mit Fluessen aus ockergelbem Wasser kaum Platz fuer die wenigen Siedlungen aus spaerlichen, ebenso gelben Lehmhuetten bieten. Dann wiederum sieht man fast puddingfoermige Muggeln, deren runde Formen ihre wahre Hoehe verschleiern. Schroffe Einrisse und geraeumigere Taeler sind dabei von halsbrecherischen Bruecken durchzogen, auf welchen Autos und auch mein Zug die zerklueftete Steppenlandschaft durchziehen - manchmal auch mittels einem der unzaehligen Tunnel mitten durch die Berge hindurch.
Gansu ist die fuenftaermste Provinz Chinas und aufgrund schlimmen Wassermangels und der grossen Entfernung zu den modernen Staedten Ostchinas noch sehr unterentwickelt - was man bei der Fahrt eindrucksvoll vor Augen gefuehrt bekommt.
Um 19 Uhr erreiche ich schliesslich Lanzhou. Was ich nicht wusste (diese Phrase verwende ich irgendwie unangenehm oft) ist, dass das Qinghai-Tibet-Plateau keineswegs ploetzlich aus dem chinesischen Boden auf 4.000 Meter hinaufragt; vielmehr ist der Anstieg ein allmaehlicher, und er beginnt schon mitten in Gansu. So liegt Lanzhou bereits auf 1.600 Metern Seehoehe, obwohl man im Zug niemals das Gefuehl bekommt, man wuerde bergauf fahren. Man merkt die Hoehe aber an den Temperaturen. Als ich ankam, schien noch die Sonne (ich bin schon so weit westlich, dass die Zeitverschiebung auf einer aequivalenten Strecke in Europa bereits zwei Stunden betragen wuerde - in China hat man sich aber fuer eine einzige Zeitzone entschieden) und ich schwitzte bei 25 Grad. Jetzt ist es 21 Uhr, dunkel, und es hat auf 6 Grad abgekuehlt. In Xining, meiner naechsten und letzten Station auf 2.300 Metern Seehoehe, ist dieser Tag-Nacht-Unterschied noch drastischer: Gestern Nacht soll es bei Minusgraden geschneit haben, untertags hatte es 23 Grad.
Lanzhou ist zwischen zweien dieser beeindruckend kargen Wuesten-Bergketten eingezwickt, so dass sich die Stadt in Ost-West-Richtung ueber 20 Kilometer weit erstreckt, waehrend die Ausdehnung in Nord-Suedrichtung nur zwei bis drei Kilometer betraegt.
Ich habe also die am meisten verschmutzte Stadt der Welt erreicht. Mein erster Eindruck heute war allerdings sehr positiv. Ich bin sehr gespannt, was die morgige Erkundung so alles bringen wird.
Und jetzt werde ich mir eine Portion dieser beruehmten Nudeln kaufen und mich gruen und blau aergern, dass ich nichts schmecke.
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5 Kommentare:
Ach, du musst nicht alles wissen, es reicht, wenn du damit umgehen kannst, wenn es soweit ist :) Und das scheint ja zu funktionieren.
Ziemlich neue Erkenntnis: Man hat auch im Darm Geschmacksnerven. Konzentrier dich doch mal gscheit! ;)
Viel Spaß!
na bumm - pass auf, dass du bei den temperaturschwankungen nicht noch einen zweitschnupfen dazukriegst.
trotzdem - viel spaß beim erkunden.
lauter gute tipps hier drin ... ic weiss ja, warum ich poste ]=). wenn ich mich ganz toll konzentriere, kann ich die ratschlaege vielleicht sogar kombinieren und bekomme im darm einen zweitschnupfen. oehm.
Dieses Bild in meinem Kopf! Da hast jetzt was gutzumachen, das tut nämlich weh. Ich hoffe dennoch, dass sich diese düstere Prophezeiung nicht bewahrheitet. Obwohl, das gäbs sicher wieder lustige Häusl-Pannen *sfg*
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